Zu unserer Vollversammlung hatten wir dieses Mal bewusst den deutschen Ökonomen Hans-Werner Sinn eingeladen. Denn wir wollten uns diesmal mit den hard facts beschäftigen und nicht mit den blumigen Visionen einer klassischen Sonntagsrede.
Wer Hans-Werner Sinn kennt, weiß, Professor Sinn spricht immer Klartext. Seine Analyse zur Krise der Industrie in Deutschland und Österreich war gewohnt deutlich, prägnant und leider ein klarer Beweis für ein politisches Versagen auf ganzer Ebene. Und noch ist kein Ende in Sicht, denn auch weiterhin verspricht die Politik vollmundig, man werde die Klimaneutralität 2050 oder gar 2040 erreichen. Dass das nur mit einer radikalen Deindustrialisierung möglich wäre und damit mit einem massiven Wohlstandverlust für uns alle, das verschweigt man aber lieber. Klimaschutz ist wichtig, keine Frage, aber man muss halt auch realistisch bleiben.
Und vor allem: Derzeit brennt der Hut ganz woanders. Die Politik kriegt das Budgetdefizit nicht in den Griff. Schlimmer noch, im November ist noch immer nicht ganz klar, wie hoch das gesamtstaatliche Defizit jetzt wirklich ist. Das empfinde ich als Armutszeugnis. Dass die bisherigen Anstrengungen der Politik zur Konsolidierung und Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit nicht ausreichen, das dämmert mittlerweile ohnehin schon vielen. Allerdings ist man sich halt nicht darüber einig, mit welchen Rezepten dem „kranken Mann Europas“, zu dem unser Österreich leider verkommen ist, geholfen werden müsste.
Die Transformationsgeschwindigkeiten in verschiedenen Regionen der Welt sind vollkommen unterschiedlich. Aber nirgendwo sehe ich eine derartige Reformverweigerung und Angst vor Veränderung wie in Deutschland und Österreich. Und damit meine ich keineswegs nur die Politik, sondern unsere Gesellschaft insgesamt. Hier bräuchte es Regierende mit Mut zur Führung, die die Bevölkerung mit einer positiven Zukunftserzählung mitnehmen. Beispiele wie Dänemark, Griechenland oder Schweden zeigen, dass das möglich ist.
Der Wunsch nach einem Fürsorgestaat, der einen von der Wiege bis zur Bahre begleitet, ist nicht zu erfüllen. Der Staat kann nicht Provider sondern muss Enabler für ein selbstbestimmtes Leben sein. Natürlich müssen wir als Gesellschaft solidarisch mit den Schwächsten sein, der Sozialstaat ist ja keineswegs per se ein Fehler. Aber der Staat kann eben nicht alle Risiken des Lebens abdecken. Denn die Folgen dieser falschen Politik sehen wir ja bereits jetzt: Die Verschuldung steigt unkontrolliert weiter. Was im Übrigen der Gipfel der Unsolidarität ist, denn all diese Schulden geben wir unseren nächsten Generationen als Rucksack mit.
Wir müssen wieder lernen, dass wir das Geld, das wir so gerne mit beiden Händen verteilen, zuerst auch einmal verdienen müssen. Leistung war immer ein zentraler Baustein der sozialen Marktwirtschaft, wir haben darauf vergessen, Work-Life-Balance lässt grüßen. Als ob ein erfülltes Arbeitsleben mit vielen Chancen und erzielbarem Wohlstand nicht ein wichtiger Bestandteil eines erfüllten Lebens darstellen würde. Als Unternehmer sollten wir hier in unseren Betrieben Vorbilder sein und immer vor Augen führen, dass Work und Life eben keine Gegensätze sind.
Dass in Österreich Mehrarbeit aufgrund unseres Steuer- und Sozialversicherungssystems nicht besonders attraktiv ist, steht auf einem anderen Blatt. Womit wir wieder bei der Politik wären. Als Minimum sollten wir jedenfalls eines fordern: Dass sie uns in diesen schwierigen Zeiten zumindest in Ruhe lässt! Keine neuen Steuern, keine zusätzliche Bürokratie! Zudem sollten wir uns erwarten können, dass sich die Politik aktiv um neue Freihandelsabkommen bemüht – und solche Anstrengungen nicht aus der eingebildeten Angst vor Chlorhühnern und Ähnlichem torpediert.
Auf die Politik können wir als Unternehmer derzeit allerdings nicht warten. Und die Haupteigenschaft des Unternehmers ist ja auch nicht das Klagen und Finger-Pointing sondern Mut, Pragmatismus und die Fähigkeit, selbst in einer Krise zuallererst die Chancen zu sehen. Und diese gibt es sehr wohl. So könnte man natürlich lang und breit beklagen, Europa habe sich beim Thema KI schon wieder von den USA und China abhängen lassen. Das mag beim Thema Plattformen und Rechenzentren ja teils stimmen, aber jedem Unternehmen steht es frei, diese Technologie zu nutzen, um für sich die beste Position zu erlangen. In diesem Sinne schafft KI tatsächlich fast schon ein Level Playing Field, es geht einfach nur darum, wer seine Prozesse und sein Geschäftsmodell schneller und nachhaltiger optimiert.
Hier haben wir es also selbst in der Hand, uns Vorteile im internationalen Wettbewerb zu erarbeiten. Ganz ausgleichen kann das die Nachteile unserer verfehlten Standortpolitik vielleicht nicht, dennoch sollten wir unbedingt darauf achten, bei der Anwendung von KI-Applikationen ganz vorne mit dabei zu sein. Das gilt übrigens nicht nur für uns Unternehmer, auch in der öffentlichen Verwaltung ließe sich mit KI vieles vereinfachen und optimieren. Und wenn wir schon keine großen Reformen schaffen, dann sollten wir zumindest diese Low Hanging Fruits unbedingt pflücken.
Und der Abbau von Bürokratie und Doppelförderungen fallen genauso wenig unter den derzeit gern zitierten „Budgetvorbehalt“, wie etwa eine Vereinheitlichung der Bauordnungen oder eine klare Kompetenzaufteilung zwischen Bund und Ländern und vieles mehr. Die Politik muss dringend in die Gänge kommen, die angekündigte Industriestrategie muss beispielsweise auch erfüllen, was sie mit ihrem Namen suggeriert. Man wird sehen, was uns da erwartet. Nur Überschriften wären jedenfalls – immerhin befinden wir uns in der schwersten Krise unserer Wirtschaft, unserer öffentlichen Haushalte und auch unseres politischen Systems der vergangenen 40 Jahre – viel zu wenig.
Präsident Mag. Christian C. Pochtler
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