Die aktuelle Bundesregierung hat nur wenig Zeit, um zu zeigen, dass sie Veränderung kann.
Denn weiter wie bisher ist eigentlich nicht mehr möglich – ob das bereits alle verinnerlicht haben,
ist allerdings eine andere Frage.
Österreich ist nicht erst seit ein paar Jahren ein verschwenderisches Land: Mit der Ausnahme eines einzigen Jahrs hat Österreich seit Bestehen der Zweiten Republik nie ein ausgeglichenes Budget hinbekommen, immer wurde mehr ausgegeben als eingenommen. Das hat also schon Tradition – und ging so lange gut, wie der Abstand zwischen Einnahmen und Ausgaben zumindest nicht allzu groß war – und gleichzeitig die Industrie als DER Wirtschaftsmotor des Landes brummte. Unser aller Wohlstand wurde über viele Jahrzehnte vor allem über den Export aufgebaut. Solange die Industrie, meist der Politik zum Trotz, wuchs und fleißig exportierte, hatten viele Menschen gut bezahlte Jobs und auch die Staatskasse klingelte.
In den vergangenen Jahren hat sich diese Situation aber bekanntlich gedreht: Die Industrie schrumpft, die Einnahmen schwinden, die öffentliche Hand ist mittlerweile größter Arbeitgeber im Land. Gleichzeitig haben wir aber unsere Ausgaben nicht zurückgeschraubt, im Gegenteil! Die Folge: In den Jahren seit Corona waren die öffentlichen Ausgaben um sagenhafte 20 Prozent höher als die Einnahmen! Jahr für Jahr! Dass das auf Dauer nicht gut gehen kann, hätte einem eigentlich der Hausverstand sagen müssen. Aber mit dem haben wir es scheinbar nicht so …
Insgesamt sitzen wir inzwischen jedenfalls auf einem veritablen Scherbenhaufen. Wir haben uns derart „dynamisch“ aus vielen Märkten gepreist, dass es fahrlässig wäre, jetzt einfach nur auf einen Konjunkturaufschwung zu warten, weil „es ja sicher wieder mal besser wird“. Ohne proaktive Maßnahmen zur Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit wird da wenig passieren. Die heimische Politik steht damit vor einem Lackmustest: Können wir Veränderung?
Es wären alle gut beraten, in dieser zugegebenermaßen herausfordernden Situation folgendes Zitat Friedrich Schillers als Leitschnur zu verinnerlichen: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod.“ Das bedeutet nichts anderes, als dass in Extremsituationen zu große Vorsicht den Untergang bedeuten kann. Und in ebendieser Situation befinden wir uns – wie im Übrigen auch unser Nachbar Deutschland. Aktuell versuchen Parteien mit teils vollkommen gegensätzlicher Programmatik und Ideologie im Rahmen von Koalitionen „tragbare Kompromisse“ zu finden. Solcherlei Kompromisse bedeuten aber allzu oft de facto den totalen Stillstand.
In wirtschaftlich guten Zeiten mag das noch durchgehen – im Grunde war die ehemalige „Große Koalition“ ja nichts anderes als ein Weiterwurschteln mittels fauler Kompromisse. Dass unser Land trotzdem zu einer erfolgreichen Exportnation wurde – das ist die eigentliche SuccessStory made in Austria, geschrieben von mutigen Unternehmerinnen und Unternehmern gemeinsam mit ihren fleißigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Jetzt sind die Unternehmen aber selbst zu sehr unter Druck; wir haben uns in ein Eck manövriert, die Wirtschaft kann den Karren nicht mehr allein aus dem Dreck ziehen.
Die Politik müsste also neue Wege einschlagen. Das alte Abtauschen von Positionen, damit ja jeder etwas für seine Klientel hat, wird nicht mehr reichen. Als gelernter Österreicher ist man an dieser Stelle geneigt zu sagen: Ja genau, wer’s glaubt … das wird nie und nimmer was! Auch mein Glaube an die Veränderungsfähigkeit der Politik ist eher gering, aber diesen Herbst ist dann doch etwas passiert, das vor Kurzem fast unmöglich erschien: Die KV-Verhandlungen in der metalltechnischen Industrie brachten eine Erhöhung der Löhne und Gehälter deutlich unter der Inflation, und das auf zwei Jahre!
Wie man nach dem überraschend schnellen Abschluss erfahren konnte, hatten Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter bereits über den Sommer verhandelt. Still und heimlich sozusagen, statt wie sonst üblich begleitet von öffentlichem Theaterdonner. Und offenbar hat man auch in der Gewerkschaft mittlerweile die wirtschaftlichen Realitäten respektiert. Wenn Unternehmen zusperren müssen, weil die Kostenbelastung den Export vieler Güter zunehmend unmöglich macht, hat auch kein Mitarbeiter etwas von hohen Lohnabschlüssen. Der besagte Abschluss ist somit, sowohl was sein Ergebnis als auch seinen Werdegang betrifft, ein sehr starkes Signal für die Fähigkeit, die üblichen Wege zu verlassen.
Ähnliches muss auch der Bundesregierung gelingen. Wäre es nicht vielleicht denkbar, dass wir uns auf einige übergeordnete Ziele einigen, die den Rahmen für die notwendigen Veränderungen vorgeben? Also zum Beispiel beim Thema Industrie und Standort: Können wir bitte außer Streit stellen, dass alles, was den Industriestandort und seine Wettbewerbsfähigkeit stärkt, auch gut für das Land (mehr Steuereinnahmen) und die Menschen (attraktive Arbeitsplätze, Wohlstand) ist? Oder nehmen wir das Beispiel Pensionen: Sollten wir unser System nicht besser aus dem Blickwinkel der Generationengerechtigkeit betrachten? Wie kann man unterschiedliche Belastungen und Leistungen für unterschiedliche Jahrgänge rechtfertigen?
Derzeit ist von „neuen Wegen“ freilich wenig zu spüren – im Gegenteil, manche verfallen sogar wieder in ganz alte, vollkommen unkreative Gepflogenheiten. So zog man kürzlich in Bezug auf die Finanzierbarkeit unseres Gesundheitssystems wieder die alte Leier von Erbschafts- und Vermögenssteuern aus dem Hut. Als ob es uns an Einnahmen mangeln würde! Jeder weiß, dass das Gegenteil der Fall ist. Man müsste halt einmal den Mut haben, das auch öffentlich zu bekennen: Liebe Österreicherinnen und Österreicher, es ist ganz einfach – wir leben über unsere Verhältnisse! Ist das so schwer?
Wir brauchen Veränderung von Grund auf. Alles andere – die klassischen Kompromisse, das übliche Klein-klein – ist in unserer prekären Situation nichts anderes als Stillstand. Wenn wir den Ausbruch aus der Kompromissfalle nicht schaffen, würde das nur dazu führen, dass ein Spruch einer IV-Kampagne traurige Realität werden würde: „‚Industrie stand dort‘ statt Industriestandort!“ Wie erwähnt: Es gibt sie, die positiven Signale. Manche haben erkannt, wie ernst die Lage ist. Möge sich diese Erkenntnis rasch verbreiten!
Christian C. Pochtler, Präsident der IV-Wien
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