„Riesige Herausforderung, aber auch eine Chance“

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Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Im Interview mit den iv-Positionen äußert sich Vizekanzler Werner Kogler zu den aktuellen Maßnahmen der Bundesregierung im Zuge der Krisenbekämpfung sowie zu den Aussichten für die nähere Zukunft.

Sehr geehrter Herr Vizekanzler, wir befinden uns in einer Zeit der Multikrisen. Der schreckliche Krieg in der Ukraine sowie die Energiekrise belasten die Bevölkerung zunehmend: Viele Menschen sorgen sich vor dem Herbst – was erwartet uns?

Es erwartet uns weiterhin eine schwierige Zeit. Die multiplen Krisen, die uns momentan treffen, erfordern ein geeintes und zielgerichtetes Handeln. Mit den drei Maßnahmenpaketen zur Abfederung der Teuerung haben wir vorausschauend gehandelt, viele Auszahlungen werden jetzt im Herbst bei den Menschen landen. Mir ist wichtig, dass wir niemanden allein lassen und wir Bevölkerung und Wirtschaft bei der Bewältigung der Krisen effizient, gezielt und zugleich möglichst rasch unterstützen.


Eine besondere Herausforderung ist natürlich die Energiekrise. Die Bundesregierung und die österreichischen Unternehmen
haben in den letzten Wochen und Monaten intensiv daran gearbeitet, genug Gas einzuspeichern, damit alle halbwegs gut
durch den Winter kommen. Hier hat die Energie- und Klimaministerin federführend die Grundlagen geschaffen, damit die Gasspeicherstände wieder rasch ansteigen und auch die Diversifizierung vorangetrieben wird. Die Tatsache, dass Putin den Gashahn als Waffe einsetzt, muss uns aber aufrütteln. Wir müssen raus aus den fossilen Energieträgern. Wo immer es möglich ist, müssen künftig erneuerbare Energien eingesetzt werden. Da sind wir im Gebäudebereich, im Verkehr und auch in der Industrie gefragt. Unter anderem die hohen Energiepreise zeigen, dass Energieeffizienz und Erneuerbare ein Gebot der Stunde sind.


Wir sollten diese schwierige Phase auch dafür nutzen, uns vor zukünftigen Krisen zu schützen. Energiesicherheit und Import-unabhängigkeit erhalten eine neue Priorität. Klar ist: es gibt kein Zurück mehr. Es wäre ein Irrglaube anzunehmen, dass wir wieder eine Situation wie vor dem Angriffskrieg Russlands haben. Das ist eine riesige Herausforderung, aber auch eine Chance.

Neben den aktuellen Krisen müssen wir auch die wohl schwierigste Herausforderung aller Zeiten, den Klimawandel, meistern: Was soll bzw. was kann Österreich hier Ihrer Meinung nach tun?

Die Klimakrise ist die Krise, die uns am längsten – nämlich die nächsten Jahrzehnte – fordern wird. Die Auswirkungen werden immer spürbarer, auch hier in Österreich. Hitzewellen, Unwetter, Dürrekatastrophen - es wird ungemütlich und für viele Menschen durchaus existenzbedrohend. Neben dem Gesundheitssystem und der Landwirtschaft ist heuer auch die Energieversorgung durch die Dürre unmittelbar betroffen. Ein weiterer Weckruf.


In der ersten Hälfte der Regierungsperiode konnten wir bereits viel zur Bekämpfung der Klimakrise umsetzen: Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das Klimaticket, die Milliardeninvestitionen
in den Klimaschutz, die ökosoziale Steuerreform sind alles Schritte zur Klimaneutralität 2040. Wir werden weitere Maßnahmen setzen, um Klimaschutz und Energieunabhängigkeit voranzutreiben. Es wird auch darum gehen, die
Transformation in der Industrie bestmöglich zu unterstützen. Viele österreichische Unternehmen sind federführend in Sachen
effizienter, umwelt- und klimafreundlicher Technologien. Hier muss unser Anspruch sein, zur Weltspitze zu gehören. Wenn
wir die Industrie entsprechend unterstützen, können wir die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und den Standort Österreich
attraktivieren.

Woher soll langfristig gesehen, unsere Energie kommen? Wie schnell können wir die für die Transformation des Energie-systems notwendige Infrastruktur schaffen?

In Zukunft muss unsere Energie aus heimischer Sonne, Wind und Wasser kommen. Diese Transformation muss rasch funktionieren. Bis 2030 ist unser Ziel ganz klar: 100 Prozent Strom aus heimischer Energie. Mit der Novelle der Umweltverträglichkeitsprüfungen, die gerade in Begutachtung ist, haben wir gesetzlich bereits eine gute Grundlage geschaffen, um die entsprechenden Verfahren schneller und effizienter zu gestalten. Wir müssen in der Energiewende auf die Überholspur kommen. Jedes Windrad, jede PV-Anlage macht uns unabhängiger von Putin.

Der Krieg in der Ukraine hat in Europa eine neue Debatte über den europäischen Zusammenhalt ausgelöst. Wie soll sich Österreich Ihrer Meinung nach positionieren? Welche Rolle soll und kann hier die Europäische Union einnehmen?

Der europäische Zusammenhalt ist zentral. Wir dürfen uns nicht auseinanderdividieren lassen. Die EU reagiert gemeinsam mit ihren Verbündeten sehr geeint auf den russischen Aggressor. Die beschlossenen Sanktionen wurden gemeinsam ausgearbeitet. Wir bieten einen starken, demokratischen Gegenpol zu einem autoritären, kriegführenden Herrscher.


Österreichs Position ist völlig klar. Die Bundesregierung unterstützt die Sanktionen, die – und das sehen wir sehr klar – in Russland zunehmend gravierende wirtschaftliche Auswirkungen haben. Auch wenn von der russischen Propaganda das Gegenteil suggeriert wird: Die russische Wirtschaftsleistung sinkt heuer um ca. zehn Prozent. In vielen Bereichen kommt es zu enormen Problemen.

Abgesehen von der derzeitigen, schwierigen Situation: Was sind aus Sicht der Grünen die wichtigsten inhaltlichen Schwer-punkte, die sie in dieser Regierung noch umsetzen wollen? Planen Sie weitere, auch systemische Reformen?

Neben den Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft, der exportorientierten Industrie, der Energiesicherheit und Energiewende sind auch der soziale Zusammenhalt und das Thema Transparenz zentral. Unser Ziel muss sein, in schwierigen Zeiten, Vertrauen in Politik und die demokratischen Institutionen zu stärken. Hier gibt es bereits einige Erfolge wie das Parteiengesetz, das gläserne Parteikassen endlich zur Realität werden lässt, aber auch die Transparenzoffensiv bei den Corona-Hilfen, bei der wir uns durchsetzen konnten. Ein großer Schritt, der noch bevorsteht, ist die Informations-freiheit, die auch in demokratischen Ländern immer wichtiger wird. Hier werden wir nicht lockerlassen und im Herbst weitere
Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der Länder und Kommunen führen.