DER (VERSTECKTE) WÄHLERAUFTRAG AN DIE NÄCHSTE REGIERUNG

Ach, was nicht alles Schönes im Wahlkampf versprochen wird! Realistisch ist wenig davon – nach der Wahl wird man den bitteren Realitäten ins Auge sehen und strukturell handeln müssen.  

Dass man nicht alles, was von Politikern im Wahlkampf versprochen wird, immer für bare Münze nehmen sollte, das ist den meisten klar. Aber selten war die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit größer als in diesem Wahlkampf: Da werden die schönsten neuen Sozialleistungen versprochen, finanziert ganz einfach über neue Vermögenssteuern – und ein Sparpaket braucht’s sowieso ganz sicher nicht, wo kommen wir da hin?!

Beinahe könnten einem die Politikerinnen und Politiker schon ein kleines bisschen leidtun in diesem Wahlkampf – denn angesichts der derzeitigen wirtschaftlichen Entwicklung und vor dem Hintergrund gähnender Leere in den Staatskassen ist bereits klar: Jetzt wird blumig alles Mögliche versprochen, aber in Wahrheit muss der Karren aus dem Dreck gezogen werden. Fast könnten sie einem leidtun, aber eben nur fast – denn vieles an der derzeitigen Misere ist leider auch einfach hausgemacht. 

„Verlorene Jahre“ 

Wie tiefgreifend die aktuelle Krise tatsächlich ist, zeigen einmal mehr die nackten Zahlen – facts don’t lie! Zwischen 2019 und 2024 ist das reale BIP pro Kopf in Österreich um 1,7 Prozent gesunken; wir sind damit das absolute Schlusslicht in der EU. Agenda Austria hat daher von „fünf verlorenen Jahren“ gesprochen. Das allein wäre schlimm genug – aber tatsächlich befinden wir uns in einer deutlichen Industrie-Rezession. Das macht sich mittlerweile auch in der Arbeitslosenstatistik bemerkbar: Im August wurde in der Industrie ein Anstieg der Arbeitslosigkeit um 16 Prozent verzeichnet! Besserung ist nicht in Sicht.

Klar, es gab viele widrige Umstände – nicht nur bei uns, aber wir waren stärker davon betroffen. Denn wir sind spätestens seit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 strukturell schlecht aufgestellt – mit einer starken Pipelinegas-Abhängigkeit, weniger Zukunftsindustrien, hohen Steuern und insgesamt Standortkosten sowie oftmals zu langsamen Verwaltungsabläufen. Das sollten keine Ausreden sein, sondern Ansporn zur Veränderung. Die Abschaffung der kalten Progression war ein wichtiger und von vielen unterschätzter Meilenstein  – aber allein zu wenig, um die erforderlichen Standortimpulse zu setzen.

Die Kompromisse in einer Koalition sind oft größer, als man wünscht. Und wenn, nach Max Weber, die Gesinnungs- über die Verantwortungsethik dominiert, geht es gesichert in die falsche Richtung. Die einen hätten vermutlich mehr machen wollen – doch die anderen waren in ihrem grün-ideologischen Käfig gefangen. Der Weg zu einer Ökosozialen Marktwirtschaft braucht jedoch ein funktionierendes marktwirtschaftliches Fundament und keine Planwirtschaftsspiele. Dafür müssen zunächst strukturelle Reformen hochpriorisiert werden – statt Beruhigungszuckerl und Träumereien.

Warnungen in den Wind geschlagen 

Es ist müßig, über die Vergangenheit zu sinnieren, bleiben wir also im Hier und Jetzt: Die Deindustrialisierung ist in vollem Gange. Damit geht es nun direkt an das Fundament unserer Volkswirtschaft. Wir verdienen jeden zweiten Euro im Export – wenn da die exportorientierte Industrie wegbricht …

Vor ebendieser Entwicklung habe ich seit Jahren gewarnt – leider wurden viele dieser Warnungen von der Politik nicht ernst genug genommen. Die durch gut gemeinte, aber falsche politische Maßnahmen (Teuerungsausgleich, Klimabonus, Energiekostenzuschuss  … immer mit der Gießkanne!) nochmals hochgepushte Megainflation und die in der Folge überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen (und das über zwei Jahre!) waren nun der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Unsere Wettbewerbsfähigkeit ist nicht nur angeschlagen, sondern geradezu abgeschmiert. Damit wird aber auch die Republik zunehmend unter Druck geraten. Denn nun beginnt etwas, wovor wir auch seit Langem warnen: Stottert der Industriemotor, gibt es auch weniger Geld zu verteilen. Die Folge: Die Staatsverschuldung steigt in weit höherem Ausmaß als erwünscht. Das aktuelle Budget hatte von vornherein eine hohe Neuverschuldung eingeplant. Dabei hatte man damals, im Herbst 2023, noch mit einem Wachstum in Höhe von 1,2 Prozent gerechnet. Wenn wir für heuer überhaupt ein Wachstum schaffen werden, müssen wir froh sein! Die Folge: In den ersten sieben Monaten des Jahres war ein „Budgetloch“ von rund acht Milliarden geplant, tatsächlich sind es jetzt schon fast 16 Milliarden!

Extremer Spagat 

Damit sollte klar sein: All die schönen Versprechen im Wahlkampf sind irrelevant. Jede neue Bundesregierung, unabhängig von ihrer Zusammensetzung, wird gezwungenermaßen vor allem mit einer Kernaufgabe beschäftigt sein: Es muss der Spagat gelingen zwischen einer Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit als Basis für Wohlstand und Wachstum einerseits und einer raschen Sanierung unseres Staatshaushalts andererseits. Ersteres muss die Hauptaufgabe gleich zu Beginn sein – denn was will man verteilen, wenn kein Kuchen mehr da ist?

Hier wird es eine ganze Reihe an strukturellen Maßnahmen benötigen. Man wird um eine komplette Reform des Einkommensteuersystems und des Pensionssystems nicht herumkommen. Wir müssen die Belastungsquote durch Steuern und Abgaben insgesamt deutlich unter 40 Prozent drücken! Bürokratieabbau, Lohnnebenkostensenkung, kapitalgedeckte Pensionen, und, und, und – wir wissen eigentlich eh alle, was es bräuchte. Nun muss man endlich vom Reden ins Tun kommen.

Gleichzeitig wird man aber auch nicht um eine Budgetsanierung herumkommen. Und im Höchststeuerland Österreich kann das nur durch ausgabenseitige Maßnahmen gelingen. Die berühmt-berüchtigten strukturellen Reformen, ob nun bei den Pensionen, beim Föderalismus, im Bildungswesen, bei den üppigen Förderungen … Seit Jahren haben viele Experten aus dem In- und Ausland immer wieder betont, dass es besser wäre, früher als später mit strukturellen Reformen gegenzusteuern, weil man sonst bald einen Punkt erreicht, wo es dann wirklich wehtut; wehtun muss.

Das wurde unter Bundesregierungen verschiedenster Zusammensetzung de facto ignoriert, die Probleme wurden mit Steuergeld zugedeckt. Die letzte wirklich große Strukturreform war die Pensionsreform unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel! So kann es nicht weitergehen.

Vergessen wir mal die schön klingenden, aber realitätsfernen Wahlkampfansagen. Am 30.9. sind sie Makulatur und die harsche Realität bricht über uns herein. Dann muss ein Regierungsteam gefunden werden, das den Tatsachen mit scharfem Verstand in die Augen blickt und pragmatisch, unideologisch und ja, unternehmerisch, überfällige Strukturreformen angeht und dabei die Menschen mitnimmt, um einen klaren Kurs zu Wohlstand und Sicherheit ab Tag eins umzusetzen. Ein Regierungsteam, das Rahmenbedingungen schafft, damit wir als kleines Industrieland unseren Wohlstand wieder selbst verdienen können – erst das ermöglicht dann auch den Erhalt unseres großzügigen Sozialstaats. Wir müssen also wieder dorthin zurück, wo wir ja schon mal waren: in der Spitzengruppe Europas, was die wirtschaftliche Dynamik und den Grad an Innovation angeht. „Klein, aber oho“ war immer das Markenzeichen von „Made in Austria“!

Das ist der versteckte, aber letztlich wahre Wählerauftrag!


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Christian C. Pochtler
Präsident der IV-Wien