„Wien hat sich enorm entwickelt!“

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Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Seit eineinhalb Jahrzehnten leitet Gerhard Hirczi die Wirtschaftsagentur Wien. In dieser Zeit hat sich viel getan – Wien ist zu einer wichtigen Wirtschaftsmetropole in Europa geworden.   

Sehr geehrter Herr Hirczi, Sie verabschieden sich nach über 15 erfolgreichen Jahren als Geschäftsführer der Wirtschaftsagentur Wien mit Jahresende in den Ruhestand. Mit Blick auf die Entwicklung des Wirtschafts- und Technologiestandorts Wien: Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Zu Beginn meiner Tätigkeit im Jahr 2009 war das Thema „Industrie und Produktion in Wien“ im Mindset von Politik und Gesellschaft eher eine Randnotiz.

Heute, nachdem die damalige Stadträtin Renate Brauner die Wiener Wirtschaftspolitik auch in Richtung der Produktion positionierte und Finanz- und Wirtschaftsstadtrat Peter Hanke diesen Weg nun konsequent fortsetzt, ist das Bild ein völlig anderes.

„Smarte Produktion“ ist nun eines der sechs Spitzenthemen der Wiener Wirtschaftsstrategie 2030, Wien beheimatet einige Weltmarktführer in der Additiven Produktion und die erste Pilotfabrik Österreichs für Industrie 4.0 steht schon seit etlichen Jahren im Technologiezentrum Seestadt der Wirtschaftsagentur Wien – und nicht in Oberösterreich oder der Steiermark.

Rückblickend kann ich sagen: Wien hat sich in den letzten eineinhalb Jahrzehnten enorm weiterentwickelt und in zahlreichen Bereichen so richtig Gas gegeben. Heute sind wir die zweitgrößte Stadt im deutschsprachigen Raum, die fünftgrößte Stadt in der EU und eine ernst zu nehmende internationale Wirtschaftsmetropole. Die Anzahl der technologieentwickelnden Unternehmen hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten verdreifacht – und nicht etwa von drei auf neun, sondern von 500 auf 1.500! Als Ostregion sind wir im vergangenen Jahr erstmals in der Gruppe der „Innovation Leaders“ aufgeschienen – dazu muss man eine Innovationsleistung von über 125 Prozent des EU-Durchschnitts liefern. Insgesamt ist also das gesamte Ökosystem viel robuster und exzellenter geworden.

Was waren für Sie besondere Highlights in der Zusammenarbeit zwischen Industrie, Stadt Wien und Wirtschaftsagentur in den vergangenen Jahren?

Lassen Sie es mich so sagen: Wissen Sie, wie viele Städte es gibt, in denen die Industrie, die Administration und die Politik gemeinsam an Programmen zur Weiterentwicklung arbeiten? Ich hege den Verdacht, dass es weltweit nicht so viele gibt …

Hier in Wien arbeiten die genannten Akteure mit dem Wiener Standortabkommen gemeinsam an den nächsten erforderlichen Schritten, und das ist gut so. So lernt man die Bedürfnisse und Notwendigkeiten der anderen Seite kennen – und kann sie letztendlich auch verstehen und akzeptieren.

Ein weiteres Highlight war für mich die Bewusstseinskampagne „Made in Vienna“. In dieser gemeinsamen Kooperation mit der Industriellenvereinigung Wien und der Sparte Industrie der Wirtschaftskammer Wien konnten wir den Wienerinnen und Wienern „ihre“ industriellen Leitbetriebe der Stadt näherbringen. Ich bin überzeugt, dass wir dadurch vielen Menschen vor Augen geführt haben, dass ganz viele Produkte des täglichen Bedarfs hier in Wien hergestellt werden.

Nicht unerwähnt lassen möchte ich das Fachkonzept „Produktive Stadt“: Hinter diesem sperrigen Ausdruck verbirgt sich eigentlich eine für eine Millionenstadt sensationelle Vorgehensweise: Mit dem Konzept wurden langfristig geeignete Flächen innerhalb des Stadtgebiets rein für die industrielle Nutzung gesichert. Das war schon ein sehr deutliches Signal an alle produzierenden Unternehmen der Stadt und die, die es noch werden wollen: Ihr seid der Stadt wichtig, wir wollen euch in der Stadt haben und es gibt hier Flächen für euch – eine Behandlung, wie es sie auch für den Wohnbau gibt.

Was sind Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen für Wien am Weg zur Technologiemetropole von Weltrang? 

Wir alle kennen die komplexe Situation, in der sich unsere Industrie heute befindet. Für eine Weiterentwicklung muss national, aber auch auf europäischer Ebene an vielen Schrauben gedreht werden – ob bei Energiekosten, Arbeitskräftemangel, Regulierungsvorschriften oder vielem mehr.

Um den aktuellen Herausforderungen zu begegnen, führt meines Erachtens jedenfalls kein Weg vorbei an konsequenter Innovationsorientierung. Noch hat Europa hier in vielen Bereichen eine gute Ausgangsposition – aber nicht endlos Zeit, um diese Position zu behaupten oder im besten Fall auszubauen. Diesen Eindruck könnte man allerdings mitunter angesichts langsamer Entscheidungsprozesse, mangelnder Entschlossenheit und eines gewissen blinden Flecks hinsichtlich des Big Pictures manchmal leider gewinnen.

Wenn wir nun an die nahe Zukunft denken: Welche Projekte sind noch in Ihrer Pipeline, die Ihnen persönlich am Herzen liegen? 

Die Wirtschaftsagentur Wien möchte als Standortagentur eine gute Partnerin für die Wiener Wirtschaft beim Transformationsprozess in Richtung Nachhaltigkeit sein; einerseits, weil sich die Stadt hier selbst ambitionierte Ziele gesetzt hat, andererseits, weil sich dadurch wirklich viele neue Chancen für den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen auftun.

Es ist kein Geheimnis: Ein Herzensanliegen von mir ist die internationale Positionierung von Wien als Wirtschafts- und Technologiemetropole. Seit 2010 ist hier schon einiges gelungen und als Wirtschaftsstandort sind wir mittlerweile auf Mindmaps, auf denen wir vor einigen Jahren sicher noch nicht aufgeschienen sind. Mit Vienna Business, dem neuen internationalen Auftritt für den Wirtschaftsstandort Wien, haben wir heuer einen wichtigen Schritt gesetzt. Aber wie man so schön sagt: „The sky is the limit“, oder auf Österreichisch: „Da geht noch was“ – in der internationalen Positionierung ist sicherlich noch einiges möglich. Ich bin mir aber nicht ganz sicher, ob sich das bis zu meinem Abschied Ende Dezember noch ausgehen wird …