"Covid war die Disruption schlechthin"

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Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Staffelübergabe: Winfried Göschl hat die Führung des AMS Wien von Petra Draxl übernommen, die ihrer seits in die AMS-Bundesorganisation wechselt.

Sehr geehrte Frau Draxl, sehr geehrter Herr Göschl, Sie haben das AMS Wien viele Jahr quasi als Tandem geleitet. Was war jeweils ihr persönliches Highlight in dieser Zeit?

GÖSCHL: Einer der größten Erfolge war ohne Zweifel das U25, die zentrale Anlaufstelle für alle Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die wir gemeinsam mit der Stadt Wien auf die Beine gestellt haben und betreiben. Eine so enge und ineinandergreifende Kooperation zwischen uns als Bundeseinrichtung und der Stadt hat es davor nicht gegeben – dass es jetzt so gut funktioniert, macht uns auch ein bisschen stolz. 

Eine weitere Zäsur, die zugleich Höhe- und Tiefpunkt war, war natürlich die Coronakrise. Das war Arbeiten unter schwierigsten Bedingungen, denn wir konnten ja nicht zusperren. Es ging um die tägliche Anpassung der Organisation und der Sicherheits-konzepte in unseren Häusern und bei den Trägern, und zugleich war es für die Unternehmen eine extrem kritische Situation, an deren Entschärfung wir doch maßgeblichen Anteil hatten, denn die Abwicklung der Kurzarbeitsbeihilfen haben wir hervorragend bewältigt.

DRAXL: Ich kann meinem ehemaligen Landesgeschäftsführungskollegen nur zustimmen: Covid mit all seinen Auswirkungen 
auf den Arbeitsmarkt war die Disruption schlechthin. Das war für alle Menschen in unserer Organisation eine Zeit großer Anstrengungen und Herausforderungen. Insbesondere die Abwicklung der Kurzarbeitsanträge war immens viel Arbeit, und alles musste sehr schnell gehen. Ich finde, dass wir das im Rückblick wirklich gut gemeistert haben, und bin stolz auf unsere AMS-Kollegen, die am Höhepunkt der Krise auch am Wochenende und bis tief in die Nacht gearbeitet haben. 

Mein persönliches Highlight meiner Zeit als Landesgeschäftsführerin des AMS Wien war, neben dem U25, sicher auch die tiefgreifende Veränderung und Professionalisierung, die das AMS Wien während dieser elf Jahre durchgemacht hat. Dort arbeiten äußerst kompetente und engagierte Menschen, die neue Herausforderungen annehmen und angehen und auf Veränderungen rasch reagieren können. 

Frau Draxl, welche Akzente wollen Sie in ­Zukunft in der Bundesorganisation setzen?

Gemeinsam mit Johannes Kopf möchte ich das AMS digitaler, ökologischer und kundenfreundlicher machen. Da haben wir einiges vor. So arbeiten wir aktuell an der Weiterentwicklung unserer digitalen Angebote, sowohl für arbeitssuchende Personen als auch für Unternehmen. Wir möchten uns noch mehr um die Servicierung von arbeitssuchenden Personen kümmern, also die Beratung noch mehr forcieren; und schließlich möchten wir die grüne Transformation der Wirtschaft begleiten. Das ist wahrscheinlich die größte Herausforderung, vor der wir als Gesellschaft und Wirtschaft stehen. Das AMS kann hier eine bedeutende Rolle einnehmen, sei es über Berufsinformation für Jugendliche oder Qualifizierungen von 
arbeitssuchenden Personen in klimarelevanten Berufen. Da gibt es einige spannende Aufgabenfelder.

 
Herr Göschl, wie soll es in Wien weitergehen – wo liegen derzeit die größten Herausforderungen in der Bundeshauptstadt?

Eine der großen Herausforderungen ist ein klassisches Großstadtphänomen: die Langzeitbeschäftigungslosigkeit. Für den besonders „harten Kern“ der Personen, die schon länger als fünf Jahre auf Jobsuche sind, haben wir jetzt das Pilotprojekt „Schritt für Schritt“ gestartet, eine Kombination aus Beratungseinrichtung und sozialökonomischen Betrieben. Eine weitere Aufgabe ist die Integration von Geflüchteten, vor allem von Konventionsflüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten. Sie machen mittlerweile einen nennenswerten Anteil der Arbeitslosen aus. Für sie schnüren wir gerade mit der Stadt Wien und dem ÖIF ein Maßnahmenpaket für Ganztagsmaßnahmen, mit denen wir sie an den Arbeitsmarkt und Ausbildungen heranführen. 

Auf der Unternehmensseite beschäftigt uns natürlich der Fachkräftemangel. Ich würde für Wien noch nicht von einem Arbeitskräftemangel generell sprechen, aber jedenfalls von einem Fachkräftemangel, der in vielen Bereichen in Wien bereits drängender ist als in den westlichen Bundesländern. 

Frau Draxl, Österreichs Unternehmen macht vor allem der Arbeits- und Fachkräftemangel Sorgen. Welche Maßnahmen sind aus Ihrer Sicht auf Bundesebene jetzt prioritär?

Der Fachkräftemangel ist ein komplexes Phänomen, das vor allem demografische Ursachen hat – die Demografie kann weder das AMS noch sonst jemand ändern. Was wir beeinflussen können, ist einerseits die Qualifizierung von arbeits-suchenden Personen und andererseits das Bewusstsein der Unternehmen für die neuen Rahmenbedingungen. Wir setzen also bereits heute sehr stark auf das Thema Arbeitgeberattraktivität und beraten auch Hunderte Betriebe österreichweit dazu. Viele Branchen und Betriebe, die unter Personalnot leiden, müssen lernen,  sich in dieser neuen Arbeitsmarktsituation 
zurechtzufinden, und manche werden auch ihren Blickwinkel erweitern und Menschen mit Migrationshintergrund, Frauen, Älteren oder Menschen mit Behinderungen mehr Chancen einräumen müssen. Nur wenn man die veränderten Rahmen-bedingungen am Arbeitsmarkt versteht, kann man auch die richtigen Schritte bei seiner Personalsuche setzen. Diejenigen Betriebe, die sich anstrengen, werden in einer ungleich besseren Position sein als diejenigen, die nur abwarten und nicht auf die veränderten Bedingungen des Arbeitsmarkts eingehen. 

Herr Göschl, welche speziellen Maßnahmen sind hier auf Wiener Ebene geplant?

Das Problem ist größtenteils ein demografisches, der Abgang der Babyboomer aus dem Arbeitsmarkt verschärft es vor allem in den Lehrbereichen. Das Potenzial, das wir heben müssen, sind daher die Migrantinnen und Migranten – es geht darum, junge Geflüchtete ausbildungsfit zu machen. Wir werden dafür die Lehrausbildungen forcieren, zusätzliche Facharbeiter-Intensivausbildungen aufstellen und so weiter. Ein gutes Beispiel, das bereits ausgezeichnet funktioniert, ist der Ökobooster, in dessen Rahmen junge Menschen in Bereichen ausgebildet werden,  die wir für die ökologische Wende brauchen.