Präsident Christian C. Pochtler gab zu Beginn der Sitzung einen kurzen Überblick über die aktuelle standortpolitische Lage. Von der Hochwasserkatastrophe am Wochenende vor der Sitzung einmal abgesehen bot sich auch so kein wirklich heiteres Bild: Manche gehen sogar so weit, dass sie die Periode von 2019 bis 2024 als „fünf verlorene Jahre“ titulieren, da in dieser Zeit in Österreich das reale BIP pro Kopf um 1,7 Prozent gesunken ist. Österreich bildet damit das Schlusslicht in der EU. Die Auswirkungen der anhaltenden Rezession sind mittlerweile am Arbeitsmarkt sehr deutlich sichtbar. So stieg die Arbeitslosigkeit in der Industrie im August um mehr als 16 Prozent.
Angesichts der massiv gesunkenen Wettbewerbsfähigkeit und vor allem auch der extremen Schieflage im öffentlichen Staatshaushalt solle man den Wahlkampfversprechen der Parteien nur bedingt Glauben schenken, so Pochtler. Die Neuverschuldung steige derzeit unter anderem auch deshalb so rasant, weil bei der Erstellung des Budgets für 2024 von einem BIP-Wachstum in Höhe von 1,2 Prozent für das laufende Jahr ausgegangen wurde. Tatsächlich werde Österreichs BIP aber wieder schrumpfen, laut OeNB wohl um bis zu minus 0,7 Prozent. „Angesichts dessen wird jede neue Bundesregierung auch um eine ausgabenseitige Budgetkonsolidierung nicht herumkommen“, so der Präsident. Ebenso klar sei auch, dass es so bald wie möglich strukturelle Maßnahmen brauche, um die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts wieder zu verbessern. In Summe gehe es bei der Nationalratswahl somit um eine Richtungsentscheidung, wie Pochtler betonte: „Wollen wir in Österreich Wohlstand haben oder nicht?“
Als erster Gast wurde im Anschluss der Politikexperte Thomas Hofer in der Vorstandssitzung begrüßt. Gewohnt prägnant kam er gleich zu Beginn auf den Punkt: Politik habe sich in den letzten Jahren stark verändert, die Emotion spiele eine immer größere Rolle. Man spreche nicht mehr von „Agenda Setting“, sondern „Agenda Surfing“; die Politik agiere vor allem reaktiv auf die jeweilige Themenlage. Vor diesem Hintergrund analysierte Hofer schließlich die Performance der einzelnen Parteien im Wahlkampf. Als einzige Partei sei die FPÖ konzise und in sich schlüssig in ihrer Kommunikation mit potenziellen Wählern – es gehe konsequent immer um „Wir hier unten gegen die da oben“. Die FPÖ profitiere zudem davon, dass sie sich über Social-MediaKanäle einen Medienapparat geschaffen habe, mit dem man die eigene Klientel ungefiltert erreichen könne.
Die ÖVP hat laut Hofer im Gegensatz zur SPÖ zumindest geschlossen agiert, was einen kleinen Vorteil im Kampf um den zweiten Platz bringen könne. Bei den Grünen prognostizierte Hofer, dass diese wohl kaum jemals wieder so stark sein würden wie noch vor der Wahl. Klar sei zudem, dass eine Regierungsbildung nach der Wahl ungleich schwieriger werden würde als bei Wahlen in der Vergangenheit. Angesprochen auf die Chancen, in Österreich unter einer neuen Regierung eine breite Reformagenda umzusetzen, zeigte sich Hofer eher skeptisch. Seiner Meinung nach müsse „noch viel mehr“ passieren, also etwa Firmenpleiten und steigende Arbeitslosigkeit, damit genug Druck für grundlegende Veränderung vorhanden sei.
In dasselbe Horn stieß im Anschluss auch IV-Generalsekretär Christoph Neumayer: Für echte Veränderung fehle in Österreich noch der nötige „Leidensdruck“. Die Politik sei insgesamt eher schwach und wie von Hofer erwähnt zu sehr reaktiv. Insofern sei die Politik auch von Impulsen von außen abhängig, was gerade für Interessenvertretungen wie die IV Chancen bedeute. An und für sich, so Neumayer, könne dies vor allem auch für die Sozialpartner eine Möglichkeit sein, wichtige Themen zu besetzen und zu treiben.
Aus Sicht der Industrie sei jedenfalls klar, was man brauche, das habe die IV in ihrer Kampagne „SOS-Wohlstand“ zusammengefasst. Die Belastung durch Steuern und Abgaben müsse dringend gesenkt werden, neue, zusätzliche Steuern seien entschieden abzulehnen, die Überbürokratisierung müsse zurückgefahren werden. Zudem werde man um ausgabenseitige Maßnahmen, etwa beim Pensionssystem, nicht herumkommen. Nach der Wahl werde es jedenfalls länger dauern, eine stabile Regierung zu bilden. Egal wer dann Teil der neuen Bundesregierung sein werde, die IV müsse im Interesse des Standorts jedenfalls unbedingt weiter als „Ideengeber“ für die Politik agieren.