„Image als Technologiemetropole aufbauen“

Im Interview mit „iv-positionen“ erläutert die MINT-Beauftragte der Stadt Wien, die langjährige TU-Rektorin Sabine Seidler, wie sie ihre neue Rolle anlegen will.

Sehr geehrte Frau Seidler, Sie sind neue MINT-Beauftragte der Stadt Wien. Was ist dabei Ihr Auftrag und welchen Herausforderungen möchten Sie sich besonders widmen? 

Es ist kein Geheimnis, dass das Angebot an Maßnahmen, die Awareness und Interesse für MINT schaffen sollen, außerordentlich breit ist. Trotzdem gelingt es offensichtlich nur schwer, junge Menschen für Berufe im MINT-Bereich, insbesondere in der IT und in der Technik, zu begeistern. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Das Angebot ist fragmentiert, die Anbieter wissen häufig nicht voneinander, Nachhaltigkeit ist nicht gewährleistet, um nur einige Beispiele zu nennen. An dieser Stelle setzt meine Tätigkeit an, wobei ich bis 2027 den Schwerpunkt auf das Thema Verbesserung der Durchgängigkeit der Angebote durch a) das Netzwerk unterstützende Maßnahmen, b) eine themenorientierte Herangehensweise, c) Zielgruppen besonders berücksichtigende Formate und d) den kontinuierlichen Dialog mit den Stakeholdern des Bundes gesetzt habe.

Die Industrie versucht ja schon sehr lange, gerade den Anteil von Frauen in der Technikwelt zu erhöhen. Das gelingt leider nicht immer so wie gewünscht. Wo sehen Sie hier die wichtigsten Hebel? 

Das Thema ist außerordentlich vielschichtig, weil es nicht nur um das Empowerment von Mädchen und Frauen geht, sondern gesellschaftliche Themen wie Berufstätigkeit von Frauen und Vereinbarkeit ebenso hineinspielen wie das Lern- oder Arbeitsumfeld, welches die Frauen erleben, wenn sie sich für einen technischen Beruf entschieden haben. Da wir wissen, dass junge Menschen allgemein und Mädchen besonders ihr Interesse an technischen Berufen in der Pubertät verlieren, ist die Durchgängigkeit der Angebote ebenso wichtig wie Role Models, die dem Alter der Zielgruppe entsprechen, sowie praktische Angebote, die im geschützten Raum die Möglichkeit geben, sich auszuprobieren. Ich denke auch, dass bereits jetzt in den Lehrplänen etablierte Formate wie die berufspraktischen Tage viel strategischer genutzt werden müssen und „Berufsorientierung“ in den Lehrplänen entlang der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen kontinuierlich verankert werden muss. 

Wien ist international bekannt als lebenswerteste Stadt sowie Kultur- und Tourismusmetropole. Wir in der Industriellenvereinigung Wien haben die Vision, dass Wien auch als Technologiemetropole von Weltrang über die Grenzen bekannt werden sollte. Welche Maßnahmen müssten die Stadt und ihre Unternehmen aus Ihrer Sicht noch setzen, um dieses Ziel auch zu erreichen? 

Ich teile diese Vision und finde die Frage außerordentlich spannend, habe aber keine Antwort. Es ist offensichtlich, dass sich Wien noch viel stärker als bisher als attraktiver Standort auch für neue Unternehmen positionieren muss, d.h., ein Image als Technologiemetropole aufbauen muss. Durch das einzigartige Umfeld an Universitäten, Fachhochschulen und Forschungseinrichtungen hat der Standort Wien außerordentliche Vorteile. Die F&E-Förderung als Kombination der Möglichkeiten von Bund und Land sind ebenfalls ein Standortvorteil. Warum gelingt es in diesem positiven Umfeld nicht, mehr große Konzerne nach Wien zu holen? Was machen andere Standorte besser? Ich bin sicher, dazu gibt es ausreichend Analysen, auf deren Basis die genannten Stakeholder gemeinsam Lösungen erarbeiten können. 

Der Forschungsstandort Wien ist mit seinen Universitäten, Fachhochschulen, Forschungsinstituten sowie den vielen forschenden Unternehmen erstklassig aufgestellt, wenn es um Patente und wissenschaftliche Publikationen geht. Dennoch schaffen wir es oft nicht, diese Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in profitable Produkte und Lösungen am Standort zu übersetzen. Woran liegt das Ihrer Meinung nach – und was müsste hier getan werden, um diese Forschungstranslationsquote zu verbessern? 

Es ist kein Geheimnis, dass ich mich seit vielen Jahren dafür einsetze, in diesem Bereich stärker mit PPP-Modellen zu arbeiten. Die Förderung mit öffentlichen Mitteln ist hervorragend, aws und auch die Wirtschaftsagentur Wien bieten vielfältige Programme an, das Spinoff-Fellowship-Programm der FFG ist außerordentlich erfolgreich, endet aber mit 2025. Gerade Letzteres zeigt uns, dass bereits hier Luft nach oben ist. Gefördert wurden in diesem Programm bisher 37 Projekte aus 135 Anträgen. Was geschieht mit den Projekten, die nicht reüssiert haben? Dieses Potenzial besser zu nutzen könnte eine Möglichkeit sein. Falls es das nicht schon gibt: Ein „Wiener Gründungsprojekte-Marktplatz“, der Unternehmen und Gründer zusammenbringt, wäre sicher unterstützend, auch weil das die Kommunikation zwischen den forschenden Institutionen und den Unternehmen auf einer anderen Ebene fördern oder ermöglichen würde. Die Phase, in der die Forschungseinrichtungen mittlerweile im Wesentlichen allein gelassen werden, ist die Prototypenphase, die darüber entscheidet, ob eine Translation überhaupt sinnvoll ist. Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Last, but not least ist auch die Zusammenarbeit zwischen den Forschungseinrichtungen ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Wissenstransferzentren sind dafür eine Drehscheibe, die sich allerdings eher in Richtung Soft Facts entwickelt hat, aber dort findet man auch die Links zu den Technology Offers der beteiligten Institutionen. Erfolgreiche Kooperationen zwischen den Forschungs- und Transfersupporteinheiten, Pre-Inkubatoren und Inkubatoren der Institutionen sind ebenfalls nicht zu vernachlässigen.


Foto: Raimund Appel

DI Dr. Sabine Seidler, MINT-Beauftragte der Stadt Wien