UNREGIERBAR UNTERM SCHULDENBERG

In unserer jüngsten Vorstandssitzung in der IV-Wien wurde viel über Österreich, Europa und unsere Wettbewerbsfähigkeit diskutiert, zudem auch über mögliche Szenarien nach der Nationalratswahl im Herbst. Beglückend war keine der Diskussionen

Die Herausforderungen, die wir mittlerweile in Österreich haben, scheinen manchmal erdrückend: Eine dramatisch sinkende Wettbewerbsfähigkeit, insbesondere durch zu hohe Arbeitskosten, zu hohe Energiekosten, eine enorme Staatsverschuldung, fehlende Strukturreformen … – über all das haben wir in den vergangenen Jahren immer und immer wieder diskutieren müssen, getan hat sich aber leider viel zu wenig. Aus zweierlei Gründen hat sich in den Diskussionen schließlich der Vergleich mit unserem Nachbarn Italien aufgedrängt; aber eines nach dem anderen.

Der erste Punkt betrifft unseren Umgang mit Steuergeld: Österreich hat ein massives Ausgabenproblem, und dieses wurde de facto bis ins Jahr 2026 festgeschrieben. Die Neuverschuldungsquote könnte übrigens, so die Warnung des Fiskalrats, bereits heuer die Maastricht-Grenze von drei Prozent des BIP übertreffen – und das ausgehend von einem ohnehin schon enormen Verschuldungsniveau. Darüber hinaus wurden bereits neue „Wahlzuckerl“ angekündigt, die noch nicht einmal im Budget eingepreist sind. Die Ausgabenwut der Politik ist in den vergangenen Jahren geradezu explodiert. Corona war hier ein Brandbeschleuniger, darf aber keineswegs als Ausrede herangezogen werden – auch vor Corona war ein ausgeglichener Haushalt in Österreich ein Fremdwort. Unser Glück war aber, dass die Nullzinspolitik der vergangenen Jahre vieles verdeckt hat und wir uns stets günstig refinanzieren konnten. Die Zeiten haben sich aber geändert.

Vor steigenden Zinsen haben alle immer schon gewarnt, und ausgerechnet jetzt, wo die Kosten für den Zinsendienst der Republik tatsächlich steigen werden, geben wir noch mehr Gas beim Schuldenmachen. Vor hohen Arbeitskosten sowie sinkender Wettbewerbsfähigkeit haben wir ebenso immer gewarnt – und ausgerechnet jetzt haben uns viele umstrittene Maßnahmen der Politik für die Energietransformation und gegen die Teuerung in eine heftige Lohn-Preis-Spirale hineingeritten. Dadurch sind viele Unternehmen akut in ihrer Existenz gefährdet – in der metalltechnischen Industrie etwa rechnet bereits ein Viertel mit einem negativen EBIT. Dabei sollten wir investieren, in die Digitalisierung, in die Energiewende etc. Das wird sich alles nicht ausgehen. Aktuell steigt die Arbeitslosigkeit, was wiederum die Staatseinnahmen verringern, die Ausgaben aber erhöhen wird. Italien galt lange Zeit als der „kranke Mann“ Europas, Griechenland war wegen einer noch weniger tragfähigen Verschuldung schließlich jahrelang in den Schlagzeilen, aber hat sich inzwischen durch einen strikten Reformkurs einer konservativen (und schließlich sogar wiedergewählten) Regierung gut erholt.

So wie die Dinge laufen, müssen wir vorsichtig sein mit Floskeln wie „italienische Verhältnisse“. Der andere Grund für den Italien-Vergleich war die Präsentation der jüngsten Umfrageergebnisse von Peter Hajek im Vorstand – manche noch unveröffentlicht, weshalb ich hier auch keine Zahlen nennen kann. Aber es ist seit einiger Zeit ohnehin immer ähnlich: Die FPÖ ist vorne, ÖVP, SPÖ, Grüne und NEOS kommen nicht vom Fleck. Das gibt neuen politischen Bewegungen Aufwind. Aus jetziger Sicht haben wir im Herbst am Ende sieben Parlamentsparteien.

Das Worst-Case-Szenario: instabile Regierungsmehrheiten mit zu vielen Kompromissen und geringer Haltbarkeit – und damit womöglich Neuwahlen nach kurzer Zeit. In Italien kennt man das, man hat sich aber arrangiert – und übrigens auch immer wieder Versuche gemacht, die Verhältnisse über Wahlrechtsänderungen (z.B. Bündnisverpflichtung für kleinere Parteien, Elemente des Mehrheitswahlrechts etc.) zu erleichtern. In Österreich hat so etwas (wie auch zum Beispiel anderswo übliche Minderheitsregierungen) gar keine Tradition. Wir werden uns schwertun – zudem zeigen Hajeks Zahlen, dass mittlerweile acht von zehn Österreichern der Politik schlichtweg nicht mehr trauen. Keine schönen Aussichten.

Was also tun? Was den Standort Österreich angeht, wäre es klar, aber scheinbar muss der Karren erst gegen die Wand fahren, bevor wir endlich handeln. In so einer Situation müssten wir uns dringend auf die wichtigsten Baustellen (Leistung fördern, planbare Rahmenbedingungen bei Energie, Infrastruktur und Steuern sowie ein nachhaltiges Pensionssystem) fokussieren und diese konsequent abarbeiten.

Was aber tun gegen die Politik- und Politikerverdrossenheit im Land? Genauso wie bei Diskussionen über Steuern oder die Pensionen hat es auch dazu in Österreich natürlich schon Debatten gegeben: Vor circa 15 Jahren wurde von vielen Seiten beispielsweise über das Mehrheitswahlrecht diskutiert, der Linzer Universitätsprofessor Klaus Poier hatte sogar ein für Österreich maßgeschneidertes „minderheitenfreundliches Mehrheitswahlrecht“ verfasst. Geendet ist das Ganze, wie bisher auch jede Staats- und Verwaltungsreformdiskussion, in der Rundablage. Vielleicht bringt die politische Situation, auf die wir zusteuern, die Debatte wieder in Gang? Denn ein Mehrheitswahlrecht würde zumindest für relativ stabile Regierungen sorgen. Eine Abkehr vom Listenwahlrecht, hin zu Direktmandaten, könnte ebenfalls helfen. Wenn ich bewusst EINE Person in meinem Wahlkreis wählen kann, die dann eben diesen EINEN Wahlkreis im Parlament vertritt, dann schafft das Nähe UND auch mehr Verbindlichkeit aufseiten der Politiker. Mehr Accountability für ihre Wähler, ihren Wahlkreis – ähnlich wie in den USA oder Großbritannien. Das könnte im idealen Fall dazu führen, dass die besten Köpfe ins Parlament gewählt werden und eben nicht eine Partei, die ihr Personal intransparent auf Bundesund Landeslisten reiht. Und das würde auch zu mehr Selbstbewusstsein für einzelne Politiker führen – und auch eher dazu, dass man das eine oder andere Mal nicht nach reiner Parteiräson abstimmt, sondern weil etwas richtig und wichtig ist.

Zukunftsmusik? Ja, sicher, genau wie eben auch eine echte Pensionsreform – was nichts daran ändert, dass beides gute Ideen wären. Es stellt sich nur die eine entscheidende Frage: Sind wir als Gesellschaft vernünftig genug, lieber gleich Konsequenzen aus der derzeitigen Situation zu ziehen, oder braucht es zuerst die Katastrophe, wie das etwa auch bei Griechenland, aber beispielsweise auch bei Schweden der Fall war? Ich fürchte mich ein wenig vor der Antwort …


Teilen Sie uns Ihre Meinung mit - via Email an debatte@iv.at