„Karten werden neu gemischt“

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Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Im Interview mit den „iv-positionen“ spricht der Meinungsforscher Peter Hajek über die möglichen Trends bei nationalen und internationalen Wahlen in diesem Jahr. Dabei stehen einige sehr zentrale Fragen auf dem Prüfstand. 

Sehr geehrter Herr Hajek, ihr Impuls-Statement in der Vorstandssitzung der IV-Wien stand unter dem Titel „Superwahljahr 2024: Der Westen im Umbruch?“ Wo erwarten Sie sich die größten Veränderungen im heurigen Jahr? 

Mit den USA und der EU werden im heurigen Superwahljahr die Karten in großen Teilen der westlichen Welt neu gemischt. In den USA stehen mit Joe Biden und Donald Trump gänzlich unterschiedliche politische Ausrichtungen zur Auswahl. Gewinnt Trump die Wahl, kann das international weitreichende Folgen haben, ebenso wie ein möglicher Rechtsruck der EU, wobei dieser nicht so stark ausfallen wird, wie manche befürchten. Von diesen Wahlentscheidungen hängen dann auch die Lösungskonzepte für die großen Themen unserer Zeit ab, wie die Ausrichtung im Bereich Klimaschutz, die weitere Ausgestaltung der Unterstützung der Ukraine durch den Westen bis hin zu wirtschaftspolitischen Aspekten. Insbesondere auf EU-Ebene wird es auch ein Thema sein, wie die schwächelnde europäische Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnen kann und welche Strategien man findet, um wirtschaftlich nicht gegenüber anderen Weltregionen ins Hintertreffen zu geraten. Und aus österreichischer Sicht wird natürlich auch die Nationalratswahl interessant, und – vielleicht noch mehr als das Wahlergebnis an sich  – die Koalitionsbildung danach. Schaffen KPÖ und Bier-Partei den Einzug, haben wir ein Sieben-Parteien-Parlament. Zwei-Parteien-Koalitionen werden da kaum noch möglich sein, nach derzeitigem Umfragestand insbesondere ohne Beteiligung der FPÖ, mit der jedoch alle anderen Parteien aktuell eine Zusammenarbeit zumindest mit Herbert Kickl ausgeschlossen haben. Es deutet einiges auf die erste Dreierkoalition auf Bundesebene hin.

Bleiben wir in Österreich: Aus den letzten Wahlergebnissen bzw. den jüngsten Umfragen könnte man eine gewisse Skepsis gegenüber etablierten Parteien herauslesen. Sind die Bürger politikverdrossen – oder nur politikerverdrossen? 

Die vergangenen Jahre waren eine Zeit multipler Krisen, von der Coronapandemie über die hohe Inflation, die mit Kaufkraftverlusten für die Menschen verbunden war, bis hin zu einem Kriegsausbruch in Europa. Viele Menschen sind durch diese Krisen tiefgreifend verunsichert, haben das Gefühl, die Dinge werden schlechter statt besser, und sie merken auch, dass die Politik viele Probleme heute nicht mehr in dem Ausmaß lösen kann, gerade Themen, die über den Nationalstaat hinausgehen. Bei Corona kommt dazu, dass Teile der Bevölkerung gegen die gesetzten Maßnahmen wie Lockdowns und die temporär beschlossene Impfpflicht waren, was bei ihnen zu einer gewissen Entfremdung vom politischen System geführt hat und immer noch nachwirkt. Dazu kommt eine Reihe von Politskandalen, die das Bild der Politiker in den letzten Jahren massiv beschädigt haben. Daraus ergibt sich sowohl eine Politikerverdrossenheit als auch eine Politikverdrossenheit, weil man eben das Gefühl hat, die Politik kann die Probleme, mit denen man konfrontiert ist, nicht mehr in dem Ausmaß lösen – oder löst sie anders, als man sich das wünschen würde. 

Haben neue politische Bewegungen derzeit, wie manche behaupten, wirklich eine größere Chance als sonst? Womit könnte man am ehesten punkten: mit nüchternen Fakten, mehr Emotion, Populismus? 

In Zeiten großer Unzufriedenheit mit der Politik haben neue Parteien größere Chancen, weil sich die Menschen nach etwas Neuem, Anderem sehnen, sozusagen nach einer Art Befreiungsschlag. In Österreich liegt beispielsweise die BierPartei in Umfragen bei rund sieben Prozent und damit in der Nähe von NEOS und Grünen. Die Bier-Partei verfügt aktuell in den wenigsten Politikbereichen über eigene Konzepte oder Vorschläge, was allerdings den Vorteil bringt, dass jeder in die Partei hineininterpretieren kann, was er möchte. Mit Dominik Wlazny hat die Partei zudem einen jungen, „anderen“ Kandidaten, der eine gewisse Lässigkeit ausstrahlt. Und das reicht einigen seiner Wähler, zumindest bisher. Über die Jahre hinweg gab es immer wieder neue politische Bewegungen, die mit ganz unterschiedlichen Dingen gepunktet haben; Emotion, Populismus oder auch Sachlichkeit. Wichtig ist, dass die Ausrichtung zur angesprochenen Zielgruppe und zum Kandidaten passt und stimmig ist. Authentizität ist dabei ein wichtiges Stichwort: Gerade in Zeiten politischer Professionalisierung und Politiker-„Sprechblasen“, bis hin zur viel zitierten „Message Control“, kommen Kandidaten gut an, die authentisch wirken. Die Wähler möchten das Gefühl haben, es mit einem „echten Menschen“ zu tun zu haben, der sich ehrlich für ein Thema einsetzt. 

Die EU-Wahl ist heuer spannend, weil in vielen Bereichen Richtungsentscheidungen anstehen: einmal der von vielen erwartete Rechtsruck, also eine Entscheidung zwischen rechts und links. Mithilfe des Migrationspakts wurde zwar auf EU-Ebene versucht, den rechten Parteien den Wind aus den Segeln zu nehmen, das ist aber nur bedingt gelungen. Auch Abschwächungen in den Bereichen Klimaschutz und Elektromobilität konnten die Wählerwanderungen in Richtung rechter Parteien nicht stoppen. Mit der Entscheidung zwischen links und rechts hängt dann auch die zukünftige politische Ausrichtung der Union zusammen: Rückkehr zur Nationalstaatlichkeit oder eine Vertiefung der Union? Mehr Klimaschutz und Innovation im Bereich erneuerbarer Energien oder eine Rückkehr in Richtung Verbrennermotor? Eine stärkere außenpolitische Stimme der EU oder spricht jedes Land weiterhin für sich? Mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit und Vereinheitlichung oder ein „Weiter wie bisher“? All diese Fragen stehen im Juni auf dem Prüfstand.