Vor Kurzem konnten wir unser Sommerfest im Kursalon Wien feiern. In meiner Eröffnung habe ich auf die schwierige Lage Europas und Österreichs hingewiesen. Kurz zusammengefasst: Wir haben derzeit mehr Herausforderungen zu meistern (Krieg vor unserer Haustür, höhere Energiekosten, krisenbedingte Migrationsströme ...) als unsere globalen Konkurrenten USA und China. Auch unsere Abhängigkeiten, sowohl ökonomisch als auch sicherheitspolitisch, sind ungleich größer. Europa muss sich daher neu positionieren.
Meine These ist, dass wir dazu aber das Rad nicht neu erfinden müssen, sondern uns nur auf die Grundwerte unseres europäischen Erfolgsmodells, der sozialen Marktwirtschaft, rückbesinnen müssen. Ein Teil dieser Werte war immer auch Leistung – denn was man über den Sozialstaat verteilen will, muss man vorher über den wirtschaftlichen Erfolg erst einmal erarbeiten. Schon vor dem Beginn der Coronapandemie orteten viele Experten in Österreich und Teilen Europas aber die Ausbreitung einer gewissen Vollkaskomentalität – der Überzeugung also, die öffentliche Hand müsse alle Risiken des Lebens komplett abdecken.
Seit Corona ist dieser Trend noch einmal deutlich größer geworden. Angesichts einer (auch das muss man zugeben) noch nie da gewesenen, extrem herausfordernden Gesamtsituation hat die Politik vieler Länder eine Art Abfederungspolitik gefahren – wobei kaum ein Land dabei so großzügig war wie Österreich. Das „Schlimmste zu vermeiden“ war und ist sicherlich richtig, aber man ist wohl über das Ziel hinausgeschossen. Inzwischen werden die Forderungen nach immer neuen Leistungen und „Verbesserungen“ geradezu absurd. Wir verlassen immer mehr den Boden der Realität.
Es scheint so, als habe all das Abfedern, als hätten all die Hilfsmaßnahmen den Leuten Sand in die Augen gestreut. Dabei wäre es dringender nötig denn je, dass die Politik die Menschen eben gerade nicht vor der harten Realität abschirmt, sondern ihnen reinen Wein einschenkt, nüchtern und pragmatisch. Wir wissen eigentlich alle, was auf uns zukommt: Die Babyboomer kommen ins Pensionsalter – und damit droht eine wahre Kostenlawine. Diese demografische Entwicklung war seit Jahrzehnten vorhersehbar, und schon jetzt gehen uns die Arbeitskräfte aus.
Nehmen wir noch die erwähnte relative Schlechterstellung in Bezug auf unsere globale Wettbewerbsfähigkeit dazu, dann sollte jedem klar sein, dass jetzt nicht die Zeit für Experimente und ideologische Träumereien ist – egal ob nun von links oder rechts. Wir gehen turbulenten Zeiten entgegen, es wäre daher in einem ersten Schritt entscheidend, einfach einmal die Fakten zu akzeptieren. So hat auch der Produktivitätsrat kürzlich 47 Vorschläge für notwendige und längst überfällige Reformen veröffentlicht. Vorsitzender Christoph Badelt sprach von einem „Pflichtenheft für die Regierung“.
Nun, diese Regierung hat noch ein Jahr Zeit; dieses Jahr gilt es jedenfalls zu nutzen. Und um realistisch zu bleiben: Nein, keiner erwartet sich in diesem Jahr den „ganz großen Wurf“. Wir sind Österreicher, wir verstehen das. Aber zumindest die Inhalte des Regierungsprogramms – da ist noch genug offen – sollte man konsequent abarbeiten.
Nächstes Jahr werden dann die Wähler zu entscheiden haben. Ich bin mir sicher, dass ein konsequentes politisches Angebot die Mitte der Gesellschaft sehr wohl abholen kann – trotz des chronisch schlechten Images der Regierenden in der Bevölkerung. Derzeit aber ist die politische Mitte nur unzureichend besetzt. Anstatt sich immer an Extrempositionen von rechts und links abzuarbeiten, sollte man eine eigene, vernünftige Linie finden. Denn das gegenseitige Anschütten und Verhöhnen hilft am Ende ja doch nur den politischen Rändern; die Mitte der Gesellschaft wendet sich da eher angewidert ab. Diese Mitte der Gesellschaft ist nach wie vor die Mehrheit – davon bin ich felsenfest überzeugt!
Man kann mit vernünftiger Politik jedenfalls Wahlen gewinnen. Denken Sie an Griechenland, wo die Wähler erst vor Kurzem einer konservativen Regierung ihr Vertrauen ausgesprochen haben, die nüchtern und trocken und ohne jegliche Sozialromantik versprochen hat, die vielen Baustellen des Landes konsequent abzuarbeiten.Als Unternehmer bin ich Optimist – und auch als Österreicher. Der tägliche Politstreit in klassischen und sozialen Medien spiegelt nicht wirklich unsere Gesellschaft wider. Österreich hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg konsequent nach oben gearbeitet, zu einem der wohlhabendsten Länder dieser Welt – durch den Fleiß der Menschen und seiner Unternehmer sowie die Innovationskraft seiner Ingenieure und Wissenschaftler. Wir müssen uns nur dessen besinnen, was uns groß gemacht hat, die Ärmel hochkrempeln und gemeinsam unsere Zukunft in die Hand nehmen!
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