Forschung und Entwicklung sowie auch der gesamte Bildungsbereich sind von den Sparmaßnahmen der Bundesregierung nicht betroffen – und das ist auch gut so. Schlimm genug, dass wir so viel mehr Geld in Pensionen und Verwaltung stecken als in Zukunftsinvestitionen – ohne strukturelle Reformen wird sich das nicht ändern. Und damit kommen wir zum Kern des Problems. Die Regierung hat ein Sparprogramm auf den Weg gebracht – ob zu wenig ambitioniert oder nicht, wird sich zeigen; ich bleibe jedenfalls skeptisch. Im Idealfall hätten wir uns, Stichwort Strukturreformen, für die nächsten Jahre jenen Spielraum geschaffen, der uns viel mehr Investitionen in Wissenschaft, Forschung und Technologie ermöglicht.
Denn aktuell schreitet die Deindustrialisierung unseres Landes unaufhaltsam voran, auch wenn es hier und da leichte konjunkturelle Trends in eine etwas positivere Richtung gibt. Aber der Wirtschaftsmotor Industrie ist schwer angeschlagen, und daran wird sich so rasch nichts ändern. Wir haben unsere Wettbewerbsfähigkeit in den vergangenen Jahren geradezu versenkt. Eine Rückkehr zu alter Größe und Stärke wird dauern und zuerst auch einmal den Willen zu entsprechend robusten Reformmaßnahmen benötigen. Aber bleiben wir optimistisch: Was nicht ist, kann ja noch werden.
Aber nun zu den Zukunftsinvestitionen: Allen ist mittlerweile klar, dass wir uns – und hier ist nicht nur Österreich, sondern ganz Europa gemeint – in vielen Technologiebereichen haben abhängen lassen. Die USA und Asien haben uns sprichwörtlich links und rechts gleichzeitig überholt. Umso wichtiger, dass wir in jenen Bereichen, wo wir noch Chancen haben, aktiver werden! Wien hat sich beispielsweise als Standort einer AI-Gigafactory beworben. Diese Initiative der EU-Kommission zielt darauf ab, in Europa an wenigen ausgewählten Standorten gezielt und strategisch großmaßstäbliche Rechenzentren für künstliche Intelligenz aufzubauen. Damit sollen die digitale Souveränität, die Innovationskraft und damit die Wettbewerbsfähigkeit unseres Kontinents gesichert werden.
Diese europäische Initiative sowie die Bewerbung Wiens unterstützen wir ausdrücklich! Denn gerade im Bereich von Spitzenforschung und Technologie liegen unsere größten Zukunftshoffnungen. Wenn wir schon aufgrund der industrieunfreundlichen Rahmenbedingungen nicht alle Produktionen im Land halten können, sollten wir uns umso mehr um unsere forschungsintensiven, hochinnovativen Unternehmen und die daran hängende Produktion bemühen. Und Wien hat nachweislich gerade im Bereich Digitalisierung und KI bereits jetzt einiges zu bieten, vergleichbar etwa mit unserer Stärke als Standort für Life Sciences und Biotech. Was dieses Thema angeht, kann man also ausnahmsweise deutlich sagen: Volle Unterstützung für die Politik bei diesen Vorhaben! Allerdings werden wir, wenn wir uns als Technologiestandort positionieren wollen, auch ein anderes österreichisches Spezifikum in Angriff nehmen müssen: die leider sehr breit verankerte Technologie- und Wissenschaftsfeindlichkeit im Land. Diese ist fast schon sprichwörtlich.
Eine der jüngsten Umfragen zu diesem Thema hat Anfang des Sommers das Linzer Market-Institut durchgeführt. Demnach glauben nur 40 Prozent der Bevölkerung, dass Experten aus Wissenschaft und Forschung objektive und nachvollziehbare Positionen vertreten. 44 Prozent sind hingegen davon überzeugt, dass Wissenschaftler nur rein subjektive, persönliche Ansichten vertreten. Vertrauen in die Forschung und Wissenschaft sieht anders aus.
Wohin das führen kann, sieht man derzeit in den Vereinigten Staaten: Die Wählerbasis von Präsident Donald Trump ist teilweise geradezu offen wissenschaftsfeindlich, die Coronazeit und die dazugehörigen Impfdebatten haben das ab 2020 noch befeuert. Sogar die Masern feiern daher in den USA derzeit ein trauriges Comeback. Diese tragische Situation kann, nüchtern betrachtet, für uns Europäer sogar Chancen bieten – von den Bemühungen, etwa Spitzenforscher aus den Vereinigten Staaten jetzt nach Europa und speziell nach Wien zu holen, war an dieser Stelle ja bereits einmal die Rede.
In Österreich ist die Skepsis neuen Technologien gegenüber tief verankert – denken wir an die Debatten rund um das geplante Atomkraftwerk Zwentendorf oder daran, wie leicht man hierzulande zum Beispiel mit der Angst vor Gentechnik Kampagnen, etwa gegen Freihandelsabkommen, machen kann. Hier haben wir als Gesellschaft, als Politik, aber auch als Unternehmen einen gemeinsamen Auftrag – mit ein Grund, warum etwa die IV und zahlreiche unserer Mitgliedsbetriebe seit vielen Jahren alle möglichen Initiativen zur Stärkung von MINT, vom Kindergarten bis zur Hochschule, unterstützen.
Unsere wunderschöne Natur, die Berge, die Seen, die Verklärung des gesunden Lebens „am Land“: All das ist ja durchaus ein Asset für Österreich – doch von Tourismus allein werden wir nicht überleben können. Bisher hat hier die produzierende Industrie dafür gesorgt, dass wir jeden zweiten Euro im Export verdient haben. Wie lange das aber unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch gelingen wird, erscheint fraglich.
Daher macht eine stärkere Ausrichtung hin zu Technologie und Wissenschaft absolut Sinn. Aber dabei muss es uns gelingen, viele Menschen im Land mitzunehmen. Und hier gäbe es genügend Felder, in denen die Politik aktiv werden könnte; oder auch die Medien. Ich meine, um nur ein Beispiel herauszupicken: Der ORF macht einige gute Wissenschaftsformate. Aber sollten diese Inhalte die gleiche Aufmerksamkeit bekommen wie etwa die Astrologie? Solange es sogar im öffentlich-rechtlichen Rundfunk normal ist, dass Astrologen in stundenlangen Sendungen ihre Schwurbeleien verbreiten dürfen, sollten wir uns nicht wundern, dass auch in Österreich immer mehr Menschen „alternative Fakten“ als völlig normal ansehen.
Christian C. Pochtler
Präsident IV-Wien
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