Sehr geehrter Herr Rektor, was sind aus Ihrer Sicht aktuell die größten Herausforderungen für den Universitäts- und Forschungsstandort Wien? Eine der größten Herausforderungen für den Universitäts- und Forschungsstandort Wien ist es, international wettbewerbsfähig zu bleiben. Dazu gehört, die besten Wissenschaftler international zu rekrutieren und zu halten und kompetitive Forschungsinfrastruktur bereitzustellen. Nur so bleibt die Universität Wien ein attraktiver Standort für Spitzenforschung und zieht gleichzeitig die besten Studierenden an. Herausfordernd bleibt auch, in der Öffentlichkeit und in politischen Diskussionen immer wieder deutlich zu machen, wie stark Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort zusammenhängen und dass Grundlagenforschung die Basis für Innovation und technologischen Fortschritt bildet. Leistungsstarke Universitäten sind für Unternehmen ein entscheidender Standortfaktor. Welche Maßnahmen bräuchte es Ihrer Meinung nach in diesem Zusammenhang seitens einer neuen Bundesregierung? Die österreichische Universitätenkonferenz hat dazu in einem Papier ausführlich Stellung genommen. Lassen Sie mich im Rahmen dieses Interviews einige Aspekte herausgreifen, die angesichts der aktuellen Budgetdebatten von besonderer Bedeutung sind: Investitionen in Universitäten sind Investitionen in die Zukunft. Gleichzeitig gilt es, teure Parallelstrukturen und eine zunehmende „Verländerung“ der Hochschulpolitik zu vermeiden. Ein Land von der Größe Österreichs kann international nur bestehen, wenn Aufgaben verteilt, klare Schwerpunkte gesetzt und Kompetenzen gebündelt werden. Das macht den Erfolg von Universitätssystemen etwa in der Schweiz, in Kalifornien oder Bayern aus. Dazu gehört auch eine strikte Aufgabenteilung zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Hochschulplanung sollte in gesamtösterreichischer Perspektive erfolgen, am besten durch ein Ministerium, in dem die Zuständigkeiten für Wissenschaft und Forschung mit den Agenden von Innovation und Technologie gebündelt sind. Und wenn ich noch etwas ergänzen darf: Wir brauchen ein klares Bekenntnis zur Grundlagenforschung, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Zu oft werden „nützliche“ angewandte Forschung und „nicht so nützliche“ Grundlagenforschung gegeneinander ausgespielt. Eine funktionierende Forschungslandschaft braucht beides. Ein gutes Beispiel dafür ist die Quantenforschung: Jahrzehntelange Grundlagenforschung, nicht zuletzt von Nobelpreisträger Anton Zeilinger, Professor an der Universität Wien und Ex-Präsident der ÖAW, hat Durchbrüche erzielt, die jetzt Innovationen in Schlüsseltechnologien wie der Kryptografie oder dem Quantencomputing ermöglichen. Wie schätzen Sie die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf den Bildungsstandort ein – und welche Herausforderungen oder Chancen sehen Sie in der Integration dieser Technologien? KI verändert unser aller Leben grundlegend. Die Entwicklungen sind so rasant, dass Individuen, aber auch Institutionen und die Gesellschaft insgesamt kaum Zeit haben, sich darauf einzustellen, kritische Fragen zu stellen und die notwendigen Anpassungsprozesse vorzunehmen. Wir setzen alles daran, KI produktiv in Lehre und Forschung zu integrieren. Im Forschungsalltag ist KI längst angekommen und ermöglicht in vielen Bereichen eine enorme Akzelerierung. Für die Lehre bedeutet KI eine große Herausforderung, die neue Lehrinhalte und nicht zuletzt eine Adaptierung des Prüfungssystems verlangt. Die zentralen Fragen aber sind: Welche Instrumente brauchen unsere Studierenden, um sich in dieser neuen „Wissenswelt“ zu orientieren, um „Fakten“ kritisch zu hinterfragen und für das eigene Arbeiten produktiv zu machen, und wie vermitteln wir diese kritischen Instrumente im Studium? Wie sehen Sie die Rolle der Universitäten in der Förderung von unternehmerischem Denken und Innovation bei Studierenden und welche Initiativen hat Ihre Universität in diesem Bereich bereits ergriffen oder plant sie in naher Zukunft? Unternehmerisches Denken und Wissenschaft weisen große Schnittmengen auf; beide brauchen Kreativität, Innovationskraft und Mut zum Risiko. Wir sehen, dass sich immer mehr Studierende für die Gründung eines Unternehmens interessieren, und zwar nicht nur in den Naturwissenschaften oder den Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, sondern auch in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Das fördern wir mit der Einrichtung von sogenannten Innovation Labs, die Studierende dabei unterstützen, ihre Ideen als Unternehmensgründer erfolgreich umzusetzen: Wie kann ich aus Ideen ein marktfähiges Produkt machen? Welche rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen braucht es? Wie kann ich Seed Funding und Venture Capital sichern? Gerade bei unseren Innovation Labs könnte ich mir eine engere Kooperation mit der IV vorstellen, z.B. im Rahmen von Mentoringprogrammen, bei denen erfolgreiche Unternehmer ihre Erfahrungen teilen. Davon könnten beide Seiten profitieren und es könnten auch Kooperationen zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen entstehen. Welche Faktoren sehen Sie als Hauptursache dafür, dass Frauen in den MINT-Fächern nach wie vor unterrepräsentiert sind? An welchen Stellschrauben müssten Universitäten sowie Politik und Gesellschaft insgesamt noch weiter drehen, um diese Disparität in den kommenden Jahren zu verringern? Das Interesse für die MINT-Fächer muss gerade bei Frauen so früh wie möglich geweckt werden, um alte Stereotypen aufzubrechen. Initiativen wie das MINTGütesiegel für Kindergärten und Schulen sind dabei wichtige Maßnahmen. Als Universität Wien bringen wir sehr erfolgreich Lehrer mit ihren Schulklassen in unsere Lehr-Lern-Labore für Chemie, Biologie und Informatik. Die Interaktion von Wissenschaftlern, Lehrern, Lehramtsstudierenden und Schülerinnen und Schülern im Labor macht MINT-Fächer erlebbar und damit für Studienentscheidungen und Berufswahl attraktiv. Ein weiteres – vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung gefördertes – Großprojekt ist „Mathematik macht Freude“, das in ganz Österreich Begeisterung für die Mathematik weckt und besondere Talente fördert. In solchen Projekten, die Schulalltag und Universität zusammenbringen, steckt großes Potenzial – auch, um mehr Frauen für MINTFächer zu gewinnen