Standort zwischen Emotion und „tiefgreifender Veränderung“?

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Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Mag. Martin Amor

Mediensprecher und Experte, Industriellenvereinigung Wien

Vor dem Hintergrund der schweren Rezession und der Verhandlungen über eine neue Bundesregierung fand am 18. November die Ordentliche Vollversammlung der IV-Wien statt.   

20.12.2024

Bereits in der Vorstandssitzung unmittelbar vor der Vollversammlung dominierten Standortfragen und Spekulationen über die Regierungsverhandlungen die Debatte. Politikberater Thomas Hofer versuchte eine Einordnung der Wahlgänge in den USA und Österreich zu geben. Zentraler Punkt: Fakten seien bei Weitem als Wahlmotiv nicht so bedeutend wie die simple Emotion – die Demokratie werde zunehmend zur „Emokratie“. Auch in den USA haben viele unter steigenden Preisen gelitten, sind unzufrieden mit dem Status quo; dadurch hatte die Kandidatin der Demokraten denkbar schlechte Karten, zumal als Teil der amtierenden Administration. In Österreich sah Hofer Licht und Schatten: Er glaube durchaus, dass eine Drei-Parteien-Koalition auch eine Chance sein könnte – zudem bräuchten vor allem die beiden ehemaligen Großparteien dringend einen Regierungserfolg. Dazu sei aber auch ein neuer Stil, bereits jetzt beim Verhandeln, notwendig, sonst drohten einmal mehr „hatscherte Kompromisse“. 

Gemeinsames über Trennendes stellen 

Im Rahmen der Vollversammlung dominierten folgerichtig immer wieder Aufrufe, „gemeinsam“ die „Ärmel hochzukrempeln“ und „anzupacken“ – so auch in der Diskussion von IV-Wien-Präsident Christian C. Pochtler mit dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig. Man werde nicht immer einer Meinung sein, so etwa Pochtler, aber die Stadt Wien bemühe sich proaktiv gemeinsam mit der IV, die Industrie in der Stadt zu halten und weiterzuentwickeln. Tatsächlich ist man in Wien stolz, „nach Oberösterreich gemeinsam mit der Steiermark das zweitgrößte Industriebundesland“ zu sein, wie Ludwig betonte. Zu Recht, immerhin liege Wien als Metropole mit einer Industriequote von 15 Prozent vor zahlreichen EULändern, wie Pochtler ergänzte. Dies sei ebenso keine „Selbstverständlichkeit“ wie die Tatsache, dass die Industrie in Wien mit Bürgermeister Ludwig sowie Stadtrat Peter Hanke immer einen unkomplizierten, direkten Draht zur Stadtregierung habe.

Neben dem Dank für die gute Zusammenarbeit in Wien beschäftigte sich Präsident Pochtler in seiner Eröffnungsrede vor allem mit der Bundespolitik, „die nun einmal in der Standortpolitik dominiert“. Die Herausforderungen und Probleme seien eigentlich hinreichend bekannt und diskutiert worden – „wir müssen jetzt ins Handeln kommen“; denn Österreich habe sich „ins Eck manövriert“, man habe Jahr für Jahr mehr Ausgaben als Einnahmen, die Staatsschuldenquote klettere auf deutlich über 80 Prozent. „Die staatlichen Ausgaben werden nicht mehr durch eine wachsende Wirtschaft abgedeckt“, wie es Pochtler auf den Punkt brachte. 

Reformen – jetzt oder nie! 

Es brauche daher tiefgreifende Veränderungen, „und zwar jetzt“, so Pochtler: Man müsse die Lohnnebenkosten sowie die Progressionsstufen senken („Arbeit muss sich wieder lohnen!“), Frühpensionierungen eindämmen, Abschläge erhöhen und Anreize für längeres Arbeiten schaffen; Förderungen und Subventionen durchforsten, Bürokratie abbauen und den Regulierungsdschungel ausdünnen, Freihandel fördern und einen funktionierenden europäischen Kapitalmarkt schaffen. Die meisten Maßnahmen wären schnell umsetzbar, würden nichts kosten, aber Einsparungen bringen. Manchen Punkten stimmte auch der Bürgermeister zu, etwa in Sachen Entbürokratisierung, wie Ludwig betonte – denn mittlerweile hätten etwa die Einreichungen bei Ausschreibungen eher den Umfang von Büchern. Projekte schneller umsetzen zu können sei auch im Interesse der öffentlichen Hand. Als positives Beispiel, wie gemeinsamer Fortschritt von Wissenschaft, Wirtschaft und Verwaltung funktionieren könne, nannte Ludwig das Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern. Die Regierungsbildung werde sicher nicht einfach, so Ludwig, aber es müssten nun eben „alle Parteien einen Schritt aufeinander zugehen“.