Die produzierende, exportorientierte Industrie ist das Herz des Wirtschaftsstandorts Österreich – und wir waren als Land auch immer stolz, dass wir jeden zweiten Euro unseres Wohlstands im Export verdienen. Jetzt aber steckt unser Industriestandort in einer besonders schweren Krise. Dass eine standortpolitische Kehrtwende möglichst rasch erfolgen müsste, belegen die nackten Zahlen: Direkt und indirekt hängen am Motor Industrie in Österreich die Hälfte der gesamten Bruttowertschöpfung und knapp 46 Prozent aller Jobs.
Es brennt der Hut, das Dach, es ist Punkt zwölf, fünf nach zwölf – egal, welche Floskel Ihnen lieber ist: Die Zeit drängt, denn derzeit ist die Deindustrialisierung bereits in vollem Gange. Um das zu wissen, reicht es vollkommen, die täglichen Nachrichten zu verfolgen. Angesichts dessen war die gefühlte Gemächlichkeit nach der Nationalratswahl besonders enervierend. Stellen Sie sich vor: Ein Unternehmen schlittert in eine schwere Krise, es drohen herbe Verluste, Jobabbau etc. – und dann geht das Management einmal ein paar Wochen „sondieren“, einmal ein eineinhalbstündiges Treffen hier, einmal dort …
Mir ist klar, dass Politik und Wirtschaft zwei sehr unterschiedliche Systeme sind, mit jeweils ganz anderen Spielregeln. Aber zumindest sollte sich aufseiten der Politik keiner über einen gewissen Unmut wundern, der seitens der Wirtschaft laut wurde und wird. Es geht um sehr viel, und wir haben keine Zeit mehr. Politik lebt auch immer von Bildern, von Emotionen; und das wochenlange „Sondieren“ stand einfach in einem sehr harten Kontrast zur Dringlichkeit der Lage.
Aber gut, nun wird ja zumindest offiziell „verhandelt“; mit Haupt und Untergruppen. Insgesamt um die 300 (!) Personen sollen jetzt ein neues Regierungsprogramm zimmern, ohne klare (Budget) Leitplanken. Da fragt man sich schon, wozu zuerst sondiert wurde … Nicht zuletzt aufgrund des Wahlergebnisses in der Steiermark sagen viele, sie seien optimistisch – denn den beteiligten Parteien müsse klar sein, dass es hier um ihr Überleben gehe, dass sie quasi zum Erfolg verdammt seien. Aber geht es nicht um das Überleben der Industrie und des Landes?
Ich wäre auch gerne optimistisch, fürchte mich aber (als „gelernter Österreicher“) doch vor zu vielen „Kompromissen“, wie man sie aus den Urzeiten der „Großen Koalition“ (von „groß“ ist wenig übrig!) kannte. Viele Reformen sind alternativlos und eignen sich gar nicht für Kompromisse. Man wird sehen, klar aber ist: „Weiter wie bisher“ reicht nicht. Dazu hat sich ganz einfach die Welt zu schnell und zu weit verändert, während wir stehen geblieben sind.
Konjunkturelle Dellen bis hin zu schweren Konjunktureinbrüchen gab es immer wieder, die vergangenen Jahre waren aber doch anders: Multiple, sich gegenseitig verstärkende Krisen haben dazu geführt, dass die Welt, wie wir sie 2019 noch kannten, nicht wiederkehren wird. Und Europa hat in diesen Jahren eine ganze Menge an wirtschaftlicher und politischer Bedeutung in der Welt eingebüßt; zum Großteil selbst verschuldet. Dennoch glauben manche in Europa noch immer, man könne vollmundig der gesamten Welt erklären, „wie man es richtig macht“, etwa beim Thema Klimaschutz – oder beim Thema künstliche Intelligenz, wo man sich in der EU groß selbst feierte, für den ersten großen Regulierungsrahmen für KI, man sei einmal mehr „Vorreiter“ … Die Ergebnisse bisher sprechen eine andere Sprache.
Wer – wie beim Klimaschutz – immer nur vorreitet, reitet irgendwann allein in den Sonnenuntergang. Europa hat im Ausland längst nicht mehr das gute Ansehen, von dem aber viele in Europa fälschlicherweise noch immer ausgehen. Die einstige AutomobilGroßmacht Deutschland etwa geht zunehmend in die Knie. Unsere Energiepreise gehen durch die Decke, unsere veralteten Strukturen scheinen reform immun, die Schieflage im Sozialsystem, im Migrationsbereich, die öffentliche Verschuldung, und, und, und …
Bezeichnend war mein Erlebnis, als ich rund um die Präsidentenwahl in den USA war. Viele haben mir gesagt: „Wir wählen Trump – unabhängig davon, was er so an umstrittenen Aussagen im Wahlkampf tätigt!“ Denn die Alternative wäre ja der europäische Weg: weniger individuelle und unternehmerische Freiheiten, mehr staatliche Regulierung und Bevormundung, unkontrollierte Massenmigration, überbordende Sozialsysteme etc.
Das tut dann doch etwas weh, denn als Europäer waren wir immer so stolz auf „unseren Weg“ der sozialen Marktwirtschaft. Und diese hat ja auch für einen sensationellen Aufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg gesorgt. Und jetzt fürchtet man den „europäischen Weg“? Leider ist das großteils selbst verschuldet: Wir haben bei der sozialen Marktwirtschaft auf die „Marktwirtschaft“ vergessen! Klar, für die Politik ist es „schöner“, mit großer Geste Dinge zu verteilen. Darüber, dass man den zu verteilenden Wohlstand erst einmal gemeinsam mit entsprechender Leistung erarbeiten muss, darüber redet keiner (mehr).
Und so sind wir in der aktuellen Misere gelandet. Mit regelmäßigen Reformen hier und dort wäre uns erspart geblieben, was nun kommen wird, kommen muss: Wir werden alle den Gürtel enger schnallen müssen. Natürlich betrifft dies vor allem den Staat, die Ausgaben müssen runter; Stichwort Ausgabenbremse. Die Ausgabenreduktion muss dabei ein ordentliches Volumen haben, denn wir brauchen Handlungsspielräume für Zukunftsinvestitionen. Mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts muss es uns zudem gelingen, KV Abschlüsse deutlich unter der Inflationsrate zu erzielen, sonst werden wir unsere Lohnstückkosten nicht in den Griff bekommen. Im Ausgleich eben Lohnsteuern runter, damit mehr Netto vom Brutto übrig bleibt. Last, but not least: Auch wir Unternehmen werden in den nächsten Jahren unsere Forderungen an den Staat zurückschrauben müssen, Subventionen durchforsten etc.
Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen: Die Bevölkerung hat genug, wünscht sich Veränderung. Die Menschen nehmen nicht mehr ohne Weiteres hin, wie viel Geld ihnen der Staat per Steuern und Abgaben wegnimmt; vor allem, weil gleichzeitig die Gegenleistung – denken Sie an Gesundheit und Bildung – nicht mehr passt. Der Politikberater Thomas Hofer hat in unserer Vorstandssitzung von der Entwicklung der Demokratie zur „Emokratie“ gesprochen; darüber, wie wichtig Emotionen in Wahlkämpfen heute sind. In den USA wurde das zugespitzt auf die Frage: Geht es dir heute besser oder schlechter als vor vier Jahren? Bei uns, auf unsere fünfjährige Legislaturperiode umgemünzt, beantworten das ebenfalls mehr und mehr Menschen mit einem deutlichen „Schlechter!“
So gesehen haben die Berufsoptimisten recht: Die nächste Regierung muss liefern. Aber sie muss auch gemeinsam die Notwendigkeit echten Wandels wirklich und ehrlich erkennen und UMSETZEN. Nur dann könnte Österreich bis zum Ende des Jahrzehnts wieder zu einem wohlhabenden und modernen Land mit Zukunft im Herzen Europas werden.
Mag. Christian C. Pochtler, Präsident IV-Wien
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