ZEIT FÜR EINEN REALITYCHECK

Es sind nicht einmal drei Monate vergangen und wir befinden uns in einer komplett neuen Welt(un)ordnung. Zeit für eine Standortbestimmung und Kursänderung – in Österreich und in Europa.

14.4.2025

Dass eine neuerliche Präsidentschaft von Donald J. Trump Herausforderungen für den Rest der Welt mit sich bringen würde, überrascht nicht, aber die Heftigkeit, Radikalität und Erratik der Maßnahmen des Weißen Hauses haben binnen kürzester Zeit Freunde und Verbündete schockiert und auf den Plan gerufen. Das fein gesponnene Netz der globalisierten Wirtschaft wird täglich neuen Zerreißproben ausgesetzt. Wird es nun endgültig zerreißen? Das ist eine existenzielle Frage gerade für Österreich, da wir als exportstarkes Industrieland durch die Globalisierung einen gewaltigen Aufschwung und damit großen Wohlstand für die Menschen in unserem Land geschaffen haben.

Jetzt hat sich aber das Spiel gedreht bzw. geändert: Was tut man, wenn die Basis unseres Wohlstandsmodells fundamental bedroht ist und alte Freunde einem die Freundschaft aufkündigen? Jammern und Schmollen bringt nichts, man muss sich blitzschnell umorientieren (denn eine Rückkehr zum Status quo ante ist derzeit nicht vorstellbar), aus der Not erfinderisch werden, enger zusammenrücken und sich auf die wahren Freunde besinnen. Vieles davon beobachten wir derzeit in Europa. Was wir daher jetzt brauchen, ist eine schonungslose Stärken/Schwächen-Analyse und darauf aufbauend die Erarbeitung einer grundlegend neuen Industrie-, Verteidigungs- und Wohlfahrtsstrategie.

Die Zeit, in der es sich Länder mit einer Staatsquote von über 50 Prozent leisten konnten, das Geld vor allem für Transferleistungen und den Konsum auszugeben, ist endgültig vorbei. Wir müssen Europa und seine Volkswirtschaften neu denken und als Erstes bei uns zu Hause anfangen: nicht mit der Kettensäge, aber auch nicht nur mit Stoßgebeten – sondern wie der Häuslbauer mit der Mörtelkelle und strikt nach volkswirtschaftlichem Lehrbuch. Dadurch können sich unter Umständen auch neue Chancen für die heimische und europäische Industrie ergeben.

Der erste Schritt dazu muss eben sein, dass wir alle und vor allem die Politik ehrlich Bilanz ziehen, eine nüchterne Bestandsaufnahme machen und dann mutig neue Schritte setzen – eine große Aufgabe und Chance für die neue Bundesregierung aus ÖVP, SPÖ und Neos, deren Energie leider primär im Überwinden der Unterschiedlichkeiten und im Finden des kleinsten gemeinsamen Nenners absorbiert wird, was sich an einer Summe zaghafter Schritte zeigt, ohne echten Gestaltungs- und Reformwillen, um Österreich als modernen Staat neu aufzustellen. Eine Pensions-, Gesundheits- oder gar Föderalismusreform werden nicht einmal angedacht. Überrascht es ehrlich irgendwen, dass wir nun einen jährlichen Konsolidierungsbedarf von über zwölf Milliarden Euro haben, nachdem wir in den Jahren seit Ausbruch der Coronapandemie rund 50  Milliarden Euro an Hilfen, Förderungen und Unterstützungen ausgegeben haben? Wobei diese Riesensumme im Konsum verpufft ist und die Inflation befeuert hat, ohne langfristige Werte zu schaffen. Wenn Kommentatoren besorgt mit dem kritischen Zeigefinger auf den Merz’schen „Doppel-Wumms“ hinweisen – ist ihnen klar, dass Deutschlands Verschuldung mit 62 Prozent des BIP im Vergleich zu unseren 83 Prozent solch epochale Verteidigungs- und Infrastrukturinvestitionen in Höhe von 1.000 Milliarden eher schultern kann? Vielmehr sollten wir uns bestmöglich aufstellen, um daran mit unseren Zulieferbetrieben zu partizipieren; auch im Verteidigungs-, Luftfahrt- und Cybersecurity-Bereich.

Wenn die Regierung sagt, man wolle eine Industriestrategie erarbeiten, dann ist es gut gemeint, aber nicht immer gut, denn die erste Maßnahme wäre die Schaffung der richtigen Rahmenbedingungen – viel mehr wollen und brauchen wir im Grunde auch gar nicht –, die die Deindustrialisierung und den freien Fall von Teilen der Wirtschaft bremsen, aufhalten oder gar umkehren könnten. Man will es schon gar nicht mehr hören, aber wo sind die ganz konkreten Deregulierungsmaßnahmen, die Eliminierung von Gold-Plating, die Vereinfachungen und Prozessbeschleunigungen? Wie steht es um die innovative öffentliche Beschaffung, um unsere Tech-Startups von der Abwanderung abzuhalten?

Die Frühjahrs-KV-Verhandlungen werden uns zeigen, ob es nun wirklich, wie manche behaupten, eine neue Sozialpartnerschaft gibt, die Abschlüsse mit Augenmaß ermöglicht. Diese müssten übrigens deutlich unterhalb der Inflationsrate liegen. Ebenso klar ist, dass wir mehr und nicht weniger arbeiten werden müssen – wobei sich diese Arbeit aber natürlich auch lohnen muss! Nur so kann es uns gemeinsam gelingen, unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder zu stärken.

Die Zeit, in der wir seitens der Industrie ständig neue sinnvolle Forderungen an die Bundesregierung stellen und hoffen, dass diese auch erfüllt werden, ist vorbei. Wir müssen uns an diese neuen Gegebenheiten anpassen, wenn wir das Grundproblem nicht ändern können. Denn es ist im Grunde ähnlich wie mit der Klimakrise: Wir brauchen eine Doppelstrategie, die die Ursachen bekämpft, aber auch die Auswirkungen mitigiert.

Suchen wir in dieser neuen Welt nach neuen Marktnischen und Kompetenzfeldern, in denen wir sehr wohl wieder reüssieren können! Mit neuen Absatzmärkten (2024 hat der Welthandel den höchsten Stand aller Zeiten mit 33 Billionen Dollar erreicht, so auch der Handel zwischen den Emerging Markets), neuen Partnern und auch mit neuen Technologien. Europa sollte aus vollem Eigennutz so viel wie möglich für sich arbeiten: Wir müssen also aufrüsten – okay, aber dann bitte mit europäischen Firmen und Konsortien, auf die man sich im Ernstfall auch verlassen kann. Dass das gut funktionieren kann, sehen wir am Erfolg von Airbus. Das gilt auch für uns in Österreich – auch wir haben Unternehmen, die von den aktuellen Entwicklungen profitieren könnten, wenn sie sich bei den europäischen Programmen, z.B. bei der ESA (European Space Agency), früh einbringen würden.

Noch haben wir in Österreich und Mitteleuropa eine starke wissenschaftliche und industrielle Basis, auf die wir aufbauen können. Beides muss gezielt gestärkt werden, etwa indem man die Spitzenkräfte aus Forschung und Entwicklung, die in den USA unter den DOGE-Kürzungen und der „Westküsteneliten-Bekämpfung“ unter Trump leiden, aktiv nach Europa lockt. Eine gute Idee, die wir auch in Österreich aufgreifen sollten.

Nutzen wir doch die vielen neuen Technologien – manche mögen woanders erfunden worden sein; umso mehr sollten wir danach trachten, diese nun smarter einzusetzen. In wenigen Jahren könnten wir dann mit einem schlankeren und sparsameren Staat sowie einer starken Industrie unseren Wohlstand auch wieder für alle heben und in unserem schönen Land mit viel Fleiß auch wieder ein gutes Leben für alle ermöglichen.


Mag. Christian C. Pochtler

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