Industrie kommt relativ glimpflich davon

IV-Chefökonom Christian Helmenstein analysiert die Auswirkungen des vierten Lockdowns auf Wirtschaft und Industrie. Zukunftsprognosen gestalten sich aufgrund der Omikron-Variante derzeit schwierig.

Mit der Omikron-Variante kündigt sich bereits eine neue SARS-CoV-2-Mutante an, die eine weitere COVID-Infektionswelle auslösen könnte. Dabei hält noch die vierte Welle der bisher verbreiteten Varianten das Gesundheitswesen in Atem, sodass die Pandemie aus epidemiologischer Perspektive keineswegs überwunden ist. Anders stellt sich die ökonomische Perspektive dar, verzeichnet die globale Konjunktur doch den stärksten Aufschwung seit fast fünfzig Jahren. Auch in Österreich wurde das VorKrisen-Niveau der Wirtschaftsleistung zwischenzeitlich bereits wieder erreicht.

Geringeres BIP-Wachstum
In welchem Ausmaß ist der Lockdown-4 nun geeignet, den Aufschwung zu beeinträchtigen? Nach unseren Modellberechnungen beläuft sich der wirtschaftliche Gesamtschaden des dreiwöchigen, neuerlichen Einfrierens von Teilen der wirtschaftlichen Aktivität auf 1,54 Milliarden Euro an entgangenem Bruttoinlandsprodukt. Dieser Wert ergibt sich auf der Grundlage eines Bottom-up-Ansatzes mit Sektorprognosen. Dabei berücksichtigt sind sowohl Vorziehals auch Substitutionseffekte beispielsweise über Click & Collect. Dementsprechend reduziert sich das für das Jahr 2021 für Österreich zu erwartende reale BIP-Wachstum nunmehr auf 4,25 Prozent. 

Die Prognose einer im nächsten Jahr mit gleicher Rate expandierenden heimischen Wirtschaft fußt auf der Annahme, dass weder ein neuerlicher Lockdown verhängt werden wird noch die für den österreichischen Tourismus wertschöpfungsmäßig besonders wichtige Wintersaison schon zur Gänze verloren ist. Dementsprechend werden sowohl inländische als auch ausländische Gäste die heimischen Skigebiete frequentieren. Unter diesen Voraussetzungen wird sich der – bis dato weitgehend industriegetragene – Aufschwung demnächst sektoral verbreitern. Die sich normalisierende Expansionsdynamik in der Industrie wird in zunehmendem Maße von der Tourismus- und Freizeitwirtschaft flankiert werden, der es heuer interventionsbedingt verwehrt war, einen Wachstumsbeitrag zu erwirtschaften.

Tourismus am stärksten betroffen
Hinsichtlich der unterschiedlichen Betroffenheit nach Branchen handelt es sich um ein Déjà-vu, welches mit dem dritten Lockdown weitgehend vergleichbar ist. Im Vergleich zum Lockdown-1 zu Beginn der Pandemie fallen die Unterschiede hingegen markant aus. Seinerzeit hatten die Kultur-, Sport- und Unterhaltungswirtschaft, nahezu ex aequo gefolgt von der Tourismuswirtschaft und der Industrie, die größten wirtschaftlichen Verluste zu tragen. Gegenwärtig ist vor allem die Tourismuswirtschaft mit über 40 Prozent des Gesamtschadens betroffen, gefolgt von den sonstigen Dienstleistungen mit einem weiteren Viertel. Die Industrie kommt im Lockdown-4 mit einem Schadensanteil von knapp 6 Prozent relativ glimpflich davon, da die Betriebe sowohl für die Beschäftigten als auch für Lieferanten und Abnehmer erreichbar bleiben. Dem steht nicht entgegen, dass einzelne Unternehmen auch aus der Industrie neuerlich substanzielle Einbußen zu verzeichnen haben.

Wien im Mittelfeld
In regionaler Analyse sind Ober- und Niederösterreich die vom Lockdown-4 wirtschaftlich am geringsten betroffenen Bundesländer. Dies hängt unter anderem mit der hohen Industriequote westlich und einer starken Diversifizierung inkl. einem überdurchschnittlichen Lebensmitteleinzelhandel östlich der Enns zusammen. Wien liegt mit einem Lockdown-4-induzierten Rückgang des Bruttoregionalproduktes von 0,39 Prozent nahezu exakt im ÖsterreichDurchschnitt. Am höchsten fallen die Verluste hingegen in Tirol und in Salzburg aus.

Dr. Christian Helmenstein, IV-Chefökonom
Foto: Kurt Prinz

„Die Industrie kommt im Lockdown-4 mit einem Schadensanteil von knapp 6 Prozent relativ glimpflich davon.“