Vollkasko: Gut fürs Auto – schlecht für Staat & Gesellschaft

Extremsituationen wie die seit 1,5 Jahren unser Denken und Handeln dominierende Corona-Pandemie machen Verhaltensmuster im Umgang mit heiklen Entscheidungen um vieles klarer erkennbar. So hat der Umgang mit Corona deutlich gemacht, dass Europa – und ganz speziell Österreich – im Gegensatz zu den USA oder zum asiatischen Raum stark von einer „Vollkasko-Mentalität“ geprägt ist: kein Risiko nehmen, sich in vielen Lebenslagen auf staatliche Absicherung und Steuerung verlassen, Verantwortung an Strukturen und Obrigkeiten delegieren anstatt, heiklen Situationen mit Eigenverantwortung entgegenzutreten. Die Pandemie hat nachdrücklich gezeigt: In Europa und in Österreich ist die Sehnsucht nach Krisenmanagement und starker Lenkung durch den Staat sehr groß. Doch das Erstarken des Staates in der Krise darf nicht vom Ausnahmezustand zur Normalität werden. Dies gilt bei der Einschränkung von Bürgerrechten ebenso wie bei Eingriffen ins Wirtschaftsleben.

Menschen und Unternehmen, die durch die Pandemie ins Trudeln gekommen sind, rasch und unbürokratisch unter die Arme zu greifen, war richtig und wichtig. Diese Eingriffe und Unterstützungsmaßnahmen nun aber zeitgerecht wieder zu drosseln und letztlich völlig auslaufen zu lassen, ist essenziell. Denn die Ausweitung der staatlichen Einflussnahme ist eine durchaus heikle Gratwanderung. Dem Einzelnen oder Unternehmen allzu viele Entscheidungen abzunehmen sowie durch Unterstützungsprogramme – von langfristiger Kurzarbeit bis zu den die unternehmerische Dynamik bremsenden Förderprogrammen – den Mut zu Eigenverantwortung zu schwächen, kann bedenkliche Auswirkungen nach sich ziehen. Das Erstarken des Staates in der Pandemie, mit dem Vordringen in Kompetenzbereiche, die bis dato anderen Playern vorbehalten waren, hat die „Vollkasko-Mentalität“ jedenfalls weiter verfestigt.

So zählt erfolgreiches Unternehmertum – und damit Innovation, Ideenreichtum sowie Gestaltungswille – beispielsweise nicht zu den Kernkompetenzen des Staates. Die ein oder andere Skurrilität zur unternehmerischen Rolle des Staates hat sich zuletzt insbesondere bei der Verstaatlichungsdiskussion rund um das MAN-Werk in Steyr offenbart. Alles andere als eine privatwirtschaftliche Lösung wäre hier schlicht inakzeptabel gewesen.

Aber etwa auch am Arbeitsmarkt, und damit indirekt im Sozialsystem, hat die Krise alte Schwächen schonungslos offengelegt. Bestes Beispiel ist das aktuelle Arbeitslosenversicherungsmodell mit vergleichsweise hoher und in (zu) vielen Fällen unbegrenzt zu beziehender Notstandshilfe. Gute Reformvorschläge (etwa ein degressives Arbeitslosengeld, um so eine raschere Rückkehr ins aktive Arbeitsleben zu forcieren) wurden diesbezüglich auf den Tisch gelegt – diese gilt es umzusetzen. Denn gerade jetzt sind qualifizierte Mitarbeiter als wesentliche Basis für den Aufschwung dringend gefragt. Die Industrie hat ihre Hausaufgaben vorbildlich erledigt und bietet attraktive Arbeitsplätze. Dennoch ist der Fachkräftemangel aktuell ein riesiges Problem für viele Betriebe. Übertriebene staatliche Unterstützungsmaßnahmen sollten diese Entwicklung nicht weiter befeuern. Ganz im Gegenteil: Für einen nachhaltigen Aufschwung sind nun verstärkt Impulse in Richtung Risikofreude und Eigenverantwortung gefragt. Eigenverantwortung sollte im Übrigen auch die oberste Maxime beim Impfen sein. Und so müssen sich dringend mehr Menschen gegen COVID-19 impfen lassen, bevor der Staat hier noch zu Zwangsmaßnahmen greift.

Klar ist jedenfalls, dass die Bereitschaft Risiken einzugehen, ein zentraler Inkubator für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit ist. Dies haben gerade die USA seit langem verinnerlicht. So spricht man z.B. im Silicon Valley von „Pivoting“ statt von Fehlschlägen – Lernen aus Fehlern ist Teil des Erfolgs, richtiges Risikomanagement ist Teil der Erfolgsstrategie. Die weit verbreitete „Vollkasko-Mentalität“ unserer Gesellschaft hingegen ist Gift für den Standort Europa.

Mehr denn je benötigen die dringend anstehenden Weichenstellungen für die Post-Corona-Ära neuen Freiraum für mehr Risikobereitschaft, Wettbewerbsdenken und unternehmerische Eigenverantwortung. Nur so kann der wichtige wirtschaftliche Turbo gezündet und Österreich wieder zukunftsfit gemacht werden. 


Ihr Christian C. Pochtler 

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