Eine besondere Challenge für Unternehmen und Organisationen ist dabei der omnipräsente Fachkräftemangel, der sich mittlerweile,
über das Segment der Fachkräfte hinaus, immer mehr zu einem allgemeinen „Arbeitskräftemangel“ auszuwachsen droht. Dieses
Thema ist beileibe kein neues und wir alle, insbesondere auch die Politik, sind gefordert, geeignete Maßnahmen zu ergreifen. So braucht es zuallererst einmal eine umfassende Aus- und Weiterbildungsoffensive, ganz speziell im MINT-Sektor oder endlich auch Erleichterungen bei der qualifizierten Zuwanderung. Darüber hinaus dürfen die Augen auch nicht vor den großen strukturellen Reformbaustellen verschlossen werden – Stichwort „Arbeitsmarkt“ und „Pensionen“.
So weit, so bekannt. Das Thema „Zukunft der Arbeit“ geht inzwischen aber noch viel tiefer. Denn in der täglichen Interaktion mit
unseren Mitarbeitern wird uns Arbeitgebern immer deutlicher vor Augen geführt, dass das Wesen von „Arbeit an sich“, und mit ihm
die Mentalität und die Erwartungen unserer Arbeitnehmer, gerade eine atemberaubend rasante Veränderung erfahren, eine Entwicklung,
die sich durch die Pandemie nur noch weiter beschleunigt hat.
Wenn wir in Zukunft im Kampf um Talente, speziell die jungen, bestehen wollen, müssen wir viele althergebrachte Annahmen über Bord werfen und eingefahrene Pfade verlassen. Man denke nur an Themen wie flexible Arbeitszeiten, Home Office, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf oder die Ansprüche der Mitarbeiter an Diversität und Nachhaltigkeit. Hier müssen wir uns selbst an der Nase nehmen und neue Perspektiven entwickeln. Der Wettbewerb um die Besten und Engagiertesten findet schon heute nicht mehr primär über das Gehaltskonto statt. Unternehmenskultur, soziale Verantwortung und der Sinngehalt der Tätigkeit werden immer mehr zu entscheidenden Faktoren, um das Unternehmen als Gesamtorganismus für potenzielle Arbeitskräfte interessant und attraktiv zu positionieren. Nur so können auch „traditionelle“ Industriebetriebe, etwa im Wettbewerb mit Start-ups und der Digitalindustrie, auf gleicher Augenhöhe um die
besten Mitarbeiter mitspielen.
Diese veränderten Rahmenbedingungen betreffen im Übrigen alle Gruppen von Arbeitskräften, nicht nur die jungen Digitaltalente,
die heute meist im Fokus der öffentlichen Debatte stehen. Ganz besonders sollten wir als Unternehmen etwa auch ältere Mitarbeiter in unsere Bemühungen miteinbeziehen und gerade auch für sie attraktive Angebote schaffen. So bewahren wir Erfahrung und Know-how routinierter Arbeitskräfte für den Betrieb und nehmen nebenbei auch Druck aus unserem überlasteten öffentlichen Pensionssystem.
Die geschilderten Mentalitätsverschiebungen und die daraus resultierenden neuen Regeln im „War for Talents“ stellen Arbeitgeber
natürlich vor einige Herausforderungen. Viele liebgewonnene No-Brainer, etwa die tägliche Anwesenheit im Betrieb, werden in
Zukunft nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden können. Unternehmen sind dadurch mit einer Vielzahl notwendiger
Veränderungen konfrontiert, wobei „Remote Working“ hier nur die Spitze des Eisbergs ist.
Managementphilosophen und Wirtschaftstheoretiker beschwören schon lange eine „New World of Work“ herauf, in der es – frei
nach Friedrich Nietzsche – zur „Umwertung aller Werte“ kommen soll. Durch die Corona-Pandemie befeuert, scheint diese neue Welt nun endgültig Einzug in die Köpfe unserer Mitarbeiter zu halten, sei es in den Werkshallen, Büros oder neuerdings den Heimarbeitsplätzen.
Das Schlagwort der „New World of Work“ erinnert dabei frappierend an Aldous Huxleys Science-Fiction-Bestseller „Brave New
World“ (zu Deutsch „Schöne neue Welt“) aus den 1930er-Jahren, in dem sich hinter den perfekten Fassaden der schönen Welt
dystopische Abgründe auftun. Es liegt an uns als Unternehmern – ebenso wie an der Politik – der Dystopie brachliegender Märkte für Fach- und Arbeitskräfte zu entkommen und die neue Welt der Arbeit für Arbeitgeber ebenso wie für Arbeitnehmer eine wahrhaft „schöne“ und damit auch produktivere werden zu lassen. Dabei wünsche ich uns allen gutes Gelingen!
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Präsident Mag. Christian C. Pochtler