„Das Innovationsherz vieler Unternehmen muss begeistert schlagen“

Univ.-Prof. Friedrich Bleicher, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik an der TU Wien, sprach mit den iv-positionen über „Smarte Produktion“, das innovative Umfeld in Wien und Möglichkeiten, unsere Stadt als Hightech-Produktionshub weiter zu stärken.

Foto: TU Wien/IFT

Univ.-Prof Friedrich Bleicher, Vorstand des Instituts für Fertigungstechnik und Photonische Technologien an der TU Wien 

Die „Smarte Produktion“ ist eines der sechs Spitzenthemen im Rahmen der Wiener Wirtschafts- und Innovationsstrategie „Wien 2030“. Was versteht man unter „smarter Produktion“ und welchen Stellenwert hat dieses Thema aktuell für Wien? 

„Smarte Produktion“ verknüpft die Nutzung von Informationssystemen für die digitale, agile Abbildung von Wertschöpfungsprozessen mit einer gesteigerten Automatisierung – auch über teilautonome Funktionen – und einer Ertüchtigung der menschlichen Fähigkeiten im Produktionsprozess, etwa durch Beauskunftung oder Roboterkollaboration. Für die Steigerung von Produktivität, Effizienz und Produktqualität bieten sich damit neue Möglichkeiten und diese stellen die Basis auch für Wertschöpfung im urbanen Raum dar. Für Wien wäre dies der Anker, um die Produktion in der Stadt zu festigen – und sogar auszubauen. Dies setzt voraus, dass man Wertschöpfung im urbanen Bereich auch halten möchte. 

Welche Rolle spielen in diesem Zusammenhang Projekte wie die „TU Wien Pilotfabrik“, das „Happy Lab“, das „Center for Digital Production“ oder das „EIT Manufacturing Co-Location Center“?  

Wien verfügt mit den genannten Einrichtungen über ein Portfolio an Ausbildungs-, Demonstrations- und „Enabler“-Funktionen, welches im deutschsprachigen Raum – und wahrscheinlich auch darüber hinaus – einzigartig ist. Gestatten Sie mir, dass ich auch etwas mit Stolz darauf schaue, zumal vieles über die Unterstützung bzw. Initiative meines Instituts entstanden ist. Diese Einrichtungen bieten ein Netzwerk für innovative Unternehmen von klein – und damit meine ich „micro“, also Startups – bis groß, um innovative Technologien kennenzulernen, diese hinsichtlich der Bedeutung für die eigenen Anforderungen auszutesten, Mitarbeiter zu schulen und letztlich sogar Innovationsprojekte in internationalen Kooperationen – mit finanzieller Unterstützung etwa über das EIT Manufacturing – umzusetzen. Das Innovations- bzw. Produktions-Herz vieler Unternehmen muss begeistert zu schlagen beginnen! 

Sie selbst haben am Institut für Fertigungstechnik das „TEC-Lab“ aufgebaut. Was hat Sie dazu bewogen und was wollen Sie mit dieser Einrichtung erreichen?

Das TEC-Lab des Institutes zählt mit der mittlerweile gegebenen Ausstattung und den Kompetenzen im Team wohl zum Kreis der international führenden Forschungseinrichtungen auf akademischem Niveau. Ich lade immer wieder gerne interessierte Unternehmen ein, sich ein Bild von diesen Möglichkeiten zu verschaffen. Die Ausstattung reicht von additiven und subtraktiven Prozessen und neusten Automatisierungslösungen für Fertigungseinrichtungen über die präziseste und schnellste Bearbeitungsmaschinentechnik für die Zerspanung und Möglichkeiten komplexe Werkstücke herzustellen bis hin zur genauesten Koordinatenmesstechnik. Wir können den Unternehmen damit von der Modellbildung bis zum Machbarkeitsnachweis über experimentelle Untersuchungen und letztlich bis hin zur Anwendungsüberleitung in Innovationsthemen helfen. Jüngst konnten wir eine Technologielösung zu zehnfacher Produktivität und ähnlicher Steigerung der Werkzeugstandzeit führen. Diese Technologie läuft bereits in der realen Fertigung und wird von uns weiter in der Umsetzung begleitet.  

Mit der „Plattform CAM Österreich“ haben Sie unlängst eine weitere Initiative gestartet. Worum geht es dabei?

Im Zusammenhang mit der Digitalisierung und unseren Kontakten zu einer Reihe von Unternehmen haben wir festgestellt, dass der technologische Status im Bereich der CAM-Technologie ganz unterschiedlich ausgebaut ist. Die CAM-Funktion dient jedoch zur Abbildung der Fertigungsumsetzung, der Fertigungsfolge und damit der resultierenden Effizienz, Qualität und Durchlaufzeit. Diese bedeutende Funktion entsteht durch eine datentechnische Koppelung mit Informationssystemen, wie der Werkzeugverwaltung, der Werkzeugvoreinstellung, der Fertigungsleittechnik, dem ERP-System und letztlich der Maschine, gegebenenfalls auch zu Schnittdaten-Informationen aus Datenbanken. Sie sehen, welche zentrale Stellung das CAM-System einnimmt – und hier sprechen wir noch gar nicht von der Systemfunktion selbst. Diesem Thema haben wir uns am IFT nun mit einer Arbeitsgruppe verschrieben, wo mittlerweile auf sehr hohem technischen Standard an technologischen Lösungen für unsere Projektpartner gearbeitet wird. Beispielsweise sei die Automatisierung der NC-Programmierung über PMI-Funktionen genannt oder auch die Funktion des CAM im additiven Prozessanwendungsspektrum. Diese Aktivitäten wollen wir breiter ausrollen, weiteren Unternehmen zugänglich machen und mit Best-Practice-Erfahrungen auch den Unternehmen fachliche „Leitblanken“ für die eigene Entwicklung des Themas anbieten.    

Was kann die Politik tun, was die Industrie, um Wien noch stärker zu einem Hub für Smarte Produktion zu machen?

 Das Ziel wäre es wohl, etwas wie das „Silicon Valley für Smarte Produktion“ – sicher in kleinerem Maßstab – zu schaffen. Damit meine ich, dass eine Art produktionstechnische Innovationskultur entsteht, dass sich ein Nährboden für innovative Unternehmen, Startups und Ansiedelung von großen Unternehmen bildet. Man muss hier gar nicht so weit, nämlich nach Amerika, blicken. Auch in England hat sich mit dem AMRC ein derartiger Standort gebildet. Es bedarf der richtigen Rahmenbedingungen, der Infrastruktur, des Förderrahmens und letztlich der Unternehmen, die sich hier eingliedern. Dies hat die mittelfristige ökonomische Perspektive als Grundlage und gerade hier sind die Unternehmen mit der strategischen Produkt- und Technologieausrichtung zusammen mit der Universitätslandschaft gefragt. Dies wäre dann ein funktionierendes PPP-System. Den Aufschlag wird dafür wohl die Politik und die Forschung machen müssen, um die Keimzelle für die Unternehmensaktivität zu bilden. Wie schon oben erwähnt, viele Elemente für diese Rahmenbedingungen wären gegeben. Ein erster Schritt wäre zum Beispiel leistbarer Baugrund für Unternehmensansiedelungen im Umfeld der Innovationseinrichtungen. Dann bin ich überzeugt, dass das Innovationsthema rasch in Fahrt kommt und flügge wird. Andere zeigen es vor.