Eine Impfung gegen Technologiefeindlichkeit, bitte!

Unsere Einstellung ist noch nicht so zukunftsfit, wie sie sein könnte

Stellen wir uns diese Pandemie einmal nur ohne den medizinischen Fortschritt der letzten 100 Jahre vor. Unsere Ärzte und Pflegekräfte sind viel besser ausgebildet, unsere Geräte technisch besser ausgereift und unsere Pharmazeutika effektiver und besser geprüft. Wie wichtig also Fortschritt, gerade im medizinischen Bereich, ist, sollten wir aktuell tagtäglich erkennen. Diese Pandemie ruft aber nicht allenthalben nur Euphorie über unsere Errungenschaften hervor, sondern offenbart – neben vielen Schwachstellen und Irrwegen in sozialen, finanzökonomischen und politischen Belangen – noch eine andere, tieferliegende Krise: das mangelnde Vertrauen der Österreicher in Technologie und Innovation.

Seit der Industriellen Revolution hat sich unser Wohlstand verzigfacht, unsere Lebenserwartung mehr als verdoppelt, die weltweite Armut hat deutlich abgenommen, wir ernähren die dreifache Weltbevölkerung mit stetig sinkendem Anteil an unterernährten Menschen, die politischen, demokratischen Institutionen haben sich verbessert – und doch: nur ca. 5% der Europäer denken, die Welt werde besser. Entsprechend skeptisch werden Innovation und der Nutzen technologischer Errungenschaften beurteilt. Oft höre ich, Technologie zerstöre unsere Umwelt, entfremde uns von uns selbst und anderen, schaffe Ungerechtigkeiten und beschere nur den entwickelten Ländern Positives. Dabei wird aber gerne vergessen, dass technologischer Fortschritt die Grundlage des beispiellosen Wohlstands ist, den wir heute – nicht nur in der sogenannten „entwickelten Welt“ – genießen.

Die Vorteile der modernen Technologie sollten dabei gerade im Gesundheitsbereich außer Streit stehen, wobei sich hier das Impfen als besonderer Lebensretter hervorgetan hat; so ist die Kinderlähmung fast eliminiert und Pocken seit 1979 ausgerottet. Ein weiteres gutes Beispiel sind die neuen COVID-19-Impfstoffe, die in nur 9 Monaten entwickelt wurden und dennoch zu den sichersten und bestkontrollierten Vakzinen aller Zeiten zählen.  

Trotzdem bestimmt nicht nur Freude über diesen technologischen Durchbruch die Debatten, sondern unwissenschaftliche Behauptungen und zahlreiche Mythen. Diese verbreiten sich zudem wie ein Lauffeuer. Wie kann das sein? Die – klassischen und sozialen – Medien spielen hier sicher eine Rolle. Aber ohne den fruchtbaren Boden der Technologieskepsis könnte die Saat der Anti-Corona-Aktivisten und Impfgegner nicht in dem Ausmaß aufgehen, wie sie es tut.

Die Politik trägt hier natürlich Verantwortung. Relativ spät wurde über die Impfung positiv informiert, somit wurde das Feld den Kritikerinnen und Kritikern überlassen. Nicht nur durch langjährige Versäumnisse im Bildungswesen – Stichwort: MINT-Bildung – sondern auch durch die Überbetonung der vermeintlichen Gefahren technologischer Innovationen. Man halte sich etwa nur das traurige Schicksal der Stopp-Corona-App vor Augen, bei der die Angst vor der Technik ein effektiveres „Contact Tracing“ verhindert hat.

Impfen ist jetzt unser Schlüssel zur Freiheit und die Politik muss alles tun, damit möglichst viele Österreicher möglichst schnell geimpft werden. Damit das gelingt, braucht es einerseits eine effektivere Beschaffung – „whatever it takes“ – und eine treffsicherere Priorisierung. Die Industrie kann ihre Rolle als Booster für den Aufschwung etwa nur wahrnehmen, wenn sie ihre Schlüsselkräfte bald wieder ohne Einschränkungen einsetzen kann.  

Es braucht aber genauso die Bereitschaft der Menschen, sich impfen zu lassen. Nach epidemiologischen Schätzungen ist in Österreich eine Durchimpfungsrate von 60-70% erforderlich, um die vielbeschworene Herdenimmunität zu erreichen. Ohne eine Immunisierung gegen das „Virus“ der Technologiefeindlichkeit, die wir insbesondere auch mit Blick auf die vielen weiteren, großen Herausforderungen unserer Zeit – Digitalisierung, Urbanisierung sowie Ökologisierung inklusive Umbau unserer Energiesysteme – dringend benötigen, wird das nur schwer gelingen.

Ihr Christian C. Pochtler


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