Standortpolitisches Harakiri mit Anlauf

Nach der EU-Kommission hat sich im Februar nun auch das EU-Parlament für eine Abschaffung des Verbrennermotors ausgesprochen – visionäre Glanzleistung oder technologischer Schuss ins eigene Knie?

Es wird kaum jemanden wundern, dass an dieser Stelle die Entscheidung, ab 2035 keine neuen Autos mit Verbrennermotor mehr zuzulassen, auf wenig Zustimmung stößt. Der Grund dafür ist aber keineswegs, dass der Klimawandel, die größte Herausforderung unserer Zeit, nicht ernst genommen würde. Mitnichten, und sogar im Gegenteil: Jedem in Generationen denkenden Menschen – und Familienunternehmern ist das in die Wiege gelegt – muss klar sein, dass wir hier gemeinsam gefordert sind, alles zu tun, was möglich ist. Wir werden dabei auch Opfer bringen müssen, keine Frage. Aber geht Europa mit diesem Verbot den richtigen Weg?


Versuchen wir es doch einmal umgekehrt: Gehen wir davon aus, dass die Entscheidung gut und richtig ist, und dass also nun ab 2035 tatsächlich nur noch Pkw mit Elektroantrieb zugelassen werden – und dass damit bis ca. 2050 der letzte Verbrenner von Europas Straßen verschwindet. Wie sieht denn diese schöne neue Welt aus?


Nun, erstens muss unser Kontinent in dieser Welt (und wir reden hier nicht von einer Zeit in weiter Ferne, wir reden von Europa in zwölf Jahren!) über eine beeindruckende Energieinfrastruktur verfügen: unzählige erneuerbare Energiequellen, Wind, Sonne, Geothermie, grünes Gas, Wasserstoff, Wasserkraftwerke, Pumpspeicherwerke; alle intelligent miteinander verbunden. Zudem überall dezentralisierte Speichersysteme unterschiedlicher Art, um die Schwankungen der Erneuerbaren ausgleichen zu können. Zweitens natürlich eine flächendeckende Ladeinfrastruktur für die vielen elektrischen Pkw.


Klingt gut, visionär? Aber wie realistisch ist diese Vision? Haben Sie (um nur ein Beispiel von vielen zu nennen) mitbekommen, wie viele Jahre es gebraucht hat, bis in Salzburg mit dem Bau der 380-kV-Leitung begonnen werden konnte? Begonnen hatte man ja bereits Anfang 2011; erst im Herbst 2019 aber konnte mit dem Bau des zweiten Teilabschnitts ge-startet werden, fertig ist er noch nicht. Bürgerproteste haben den gesamten Bau begleitet – Strom will jeder, in den eigenen vier Wänden, aber bitte keine Leitungen. Die Entscheidung über die Trassenführung dieser Leitung geht übrigens auf das Jahr 2001 zurück!


Daher noch einmal: Wie realistisch ist die Umsetzung der oben skizzierten Vision in nur zwölf Jahren?! Natürlich wäre es höchst wünschenswert, wenn wir Europäer fähig wären, blitzartig unsere Energieinfrastruktur um- und auszubauen – wir müssten das ohnehin dringend tun, denn anders kann die viel beschworene Energiewende nicht gelingen. Darüber müsste man in einer Demokratie aber auch ehrlich und offen diskutieren können.


Beim Verbrenner-Aus müssen aber noch weitere Faktoren bedacht werden: Sind E-Autos denn immer supersauber klimaneutral? Ich will hier gar nicht die Debatte um die benötigten Rohstoffe oder auch die Batterietechnik (und damit um eine weiter vergrößerte Abhängigkeit von der Gunst anderer Weltregionen) aufwärmen. Lassen wir das alles einfach einmal außer Acht. Immerhin muss uns dasselbe erlaubt sein wie der Politik – also ignorieren wir einmal unangenehme Fakten.


Selbst mit dem jetzt bestehenden Strommix: Sind alle E-Autos ohne jegliche fossile Energie unterwegs? Simple Antwort: Nein. Gar nicht. Aufgrund des Ukrainekriegs hat Deutschland wieder begonnen, Kohle zu verstromen. In Polen macht man das sowieso. In ganz Europa ist nach wie vor eine Stromversorgung ohne fossile Energieträger schlicht undenkbar. Um das zu ändern, werden manche Länder kräftig in neue Atomkraftwerke investieren. Auch diese Wahrheit muss den Menschen zumutbar sein. Wenn alle Pkw in Europa ohne fossile Treibstoffe auskommen sollen – so ja der politische Wunsch –, dann werden wir die Energieproduktion aus nicht fossilen Quellen massiv ausbauen müssen, inklusive des Atomstroms. Das alles in nur zwölf Jahren? Manchen scheint der Glaube daran zu fehlen. Italien hat etwa bereits angekündigt, man werde Vorschläge für Ausnahmen für die eigene Automobilindustrie vorlegen, und auch in Deutschland mehren sich die kritischen Stimmen. Vielleicht führt dies ja zu einem sinnvollen Kompromiss?


Sehr treffend brachte das selbst gewählte europäische Dilemma der Moskau-Korrespondent der „Zeit“, Michael Thumann, in einem Kommentar am 23. Februar auf den Punkt: Das „Heuchelland“ sei nun endgültig „abgebrannt“. Denn in Deutschland, aber eben auch in Österreich, sind wir offiziell ja immer supersauber: Atomstrom lehnen wir ab, Fracking ist sowieso pfui, im eigenen Land undenkbar, natürlich! CO2-Einspeicherung in den Boden, unsere Böden?! Sicher nicht! Aber Atomstrom und Fracking-Gas importieren wir laufend. CO2 will Deutschland z. B. auch einlagern – aber bitte in Norwegen. Alles, was „un-angenehm“ ist, bitte einfach „woanders“, sicher nicht bei uns.


In Summe fällt es schwer, in dem viel bejubelten, „visionären“ Aus für Verbrennermotoren nicht reinen Populismus zu sehen. Klingt gut, kann man abfeiern – die Realität, um die sollen sich andere kümmern. Dass man die Elektromobilität fördern will, ist ja okay. Aber warum nicht durch Marktmechanismen, etwa ein ETS-System in diesem Bereich? Dann werden Verbrenner eben immer teurer – der Markt und die Menschen werden darauf reagieren. Bereits jetzt investieren ohnehin alle Hersteller eben auch in die E-Mobilität.


Solange wir aber nicht genau wissen, wie Europa im Jahr 2035 dastehen wird, sollten wir uns erstens alle technologischen Türen offen halten. Ob synthetische Kraftstoffe oder vielleicht auch Wasserstoff – wer weiß denn, was technologisch noch alles gelingen kann? Zweitens kann eben keiner wissen, ob wir 2035 überhaupt ohne Verbrennungsmotoren auskommen können; was ist z. B. mit Lastkraftwagen? Die gesamte Logistik unseres Kontinents ist von Verbrennermotoren getragen, elektrische Alternativen sind hier noch reichlich überschaubar. Oder was ist mit Traktoren, Baumaschinen, Erntemaschinen oder Militärfahrzeugen?


Wollen wir wirklich, dass alle Unternehmen der europäischen Automobilindustrie jegliche Forschung und Innovation im Bereich der Verbrenner einstellen? Die Automobilindustrie, einst Europas Vorzeigeindustrie und Motor für unseren Wohlstand, ist ohnehin schon schwer angeschlagen. Dieses Denk- und Technologieverbot wird alles andere als hilfreich sein – andere Länder werden sich freudig in die Fäuste lachen, dass sich Europa ohne Not zahlreiche Türen zu möglichen Zukunftslösungen zuschlägt. Man setzt auf den batteriebetriebenen Elektroantrieb, und zwar nur auf diesen. Das wirkt fast schon mehr wie ein religiöses Bekenntnis statt wie eine durchdachte Standort- und Innovationspolitik. Wir machen also aus zweifelhaften Motiven mit der Automobil-branche eine der industriellen Säulen unseres Kontinents kaputt. Glauben auch gerade wir als Zulieferland, dass wir auf diese Weise international reüssieren können? Wird wirklich die ganze Welt folgen und nur mehr auf batteriebetriebene Antriebe setzen? Wollen wir uns darauf verlassen?


Das Vorreitertum Europas in der Klimapolitik hat bisher schon nie wirklich etwas gebracht. Wir haben uns selbst alle möglichen Grenzen und Ziele auferlegt, der Rest der Welt hat sich darüber gefreut und munter alles getan, um von unseren selbst auferlegten Beschränkun-gen zu profitieren. Warum sollte das jetzt an-ders sein? Technologieverbote aus rein ideo-logischer Überzeugung sind nicht der richtige Weg – das ist somit leider wirklich Harakiri mit Anlauf für den einst so stolzen Automobilindustrie-Standort Europa.


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