Regierung re(a)giert?

Die vergangenen Jahre waren von massiven Krisen geprägt, die Bundesregierung musste notgedrungen oft kurzfristig reagieren. Das langfristige Gestalten kam dabei zu kurz - wäre nun aber notwendiger denn je.

Die „Gefahren“ der demografischen Wende – als Produkt des glückseligen Umstands, dass wir immer länger leben – werden seit vielen Jahren beschworen. Diese Entwicklung war also lange absehbar und auch mit ein Grund, warum Anfang der 2000er-Jahre tatsächlich das letzte Mal echte strukturelle Pensionsreformen in Österreich durchgeführt wurden. Schon damals war klar, dass es ohne Einschnitte im Pensionsbereich nicht gehen kann. Und nichts anderes bedeutete die damalige Reform, zumindest für jüngere Generationen, für die nicht mehr wie früher nur die „besten“ Erwerbsjahre als Grundlage zur Berechnung der Pensionshöhe herangezogen werden, sondern der Durchschnitt aller Erwerbsjahre. Das Pensionssystem ist längst nicht mehr fair oder nachhaltig. Aber das ist ein alter Hut. Doch nicht nur im Pensionssystem wird uns die Demografie steigende Kosten bescheren, wie eine aktuelle Prognose des Finanzministeriums deutlich macht: Auf immer weniger aktive Beitragszahler kommen immer mehr Menschen, die sich nicht im erwerbsfähigen Alter befinden. 2022 kamen noch über 51 Personen im nicht erwerbsfähigen Alter auf 100 Erwerbsfähige; bis 2060 werden es mehr als 71 Personen sein. Dass dies Mehrkosten bedeuten wird, ist logisch. Hinzu kommt das Ende der Nullzinspolitik, wodurch natürlich auch die Kosten unserer bereits vorhandenen Verschuldung wieder stark steigen werden. In Summe zeichnet das Finanzministerium ein beklemmendes Bild: Österreich auf dem Weg zu einer Schuldenquote von über 120 Prozent der Wirtschaftsleistung im Jahr 2060. „Italienische Verhältnisse“ nannte man so etwas früher manchmal spöttisch. In der Position, anderen erklären zu können, wie man als Staat nachhaltig wirtschaftet, sind wir aber schon lange nicht mehr – wenn wir es je waren. Kritiker werden sagen, dass derlei langfristige Prognosen immer mit Vorsicht zu genießen seien. Allein: Der demografische Wandel scheint in Stein gemeißelt – oder kann sich jemand vorstellen, dass Österreich rasch und konsequent zu einem effizienten System einer qualifizierten Zuwanderung finden wird, um hier einen Ausgleich zu schaffen? Unsicher sind Prognosen, die z.B. mit Bezug auf das Wirtschaftswachstum getroffen werden. Die Prognose des Ministeriums geht von einem durchschnittlichen realen Wachstum von 1,2 Prozent pro Jahr aus. Bis 2060! Wer das heute, wo die Wettbewerbsfähigkeit ganz Europas stetig erodiert, liest, wird skeptisch sein: Sind diese Prognosen nicht zu optimistisch? So oder so: Es gäbe genug zu tun. Dass wir seit über 15 Jahren über Änderungen im Pensionsbereich nur gestritten haben, ohne jemals sinnvolle Reformen hinzubekommen, macht alles nur noch dringlicher. Von der Klausur der Bundesregierung Anfang des Jahres hätte man sich, nach all den Krisenjahren, jedenfalls wichtige Weichenstellungen für die Zukunft erwartet. Sicher sind Beschleunigungen bei UVP-Verfahren und Co auch wichtig, schon klar. Aber die einzige Antwort auf die Frage, was Schwarz und Grün in dieser Legislaturperiode noch erreichen wollen, kann das wohl kaum sein! Noch dazu so kurze Zeit nach der erwähnten recht unerfreulichen Prognose des Finanzministeriums. Die Krisen der vergangenen Jahre – Pandemie, Ukraine-Krieg, Energiekrise – haben eines deutlich gezeigt: Es kann schneller und vor allem anders kommen, als man denkt, und zwar jederzeit. Über Jahre hatten Experten gepredigt, in guten Zeiten müsse man für die schlechten vorsorgen. Das haben wir verschlafen. Wäre es nicht zumindest jetzt endlich hoch an der Zeit, vom Reagieren zum Agieren zu kommen, die Zukunft aktiv zu gestalten, statt zu verwalten? Diese Bundesregierung hat im Grunde ohnehin nichts mehr zu verlieren – könnte aber alles gewinnen. Eine Regierung, die Österreich mittels struktureller Reformen fit für die nächsten Jahrzehnte macht, würde sich den Eintrag in die Geschichtsbücher als eine der erfolgreichsten Bundesregierungen der Zweiten Republik sichern. „Die Zukunft hängt davon ab, was wir heute tun“ – dieses Zitat Mahatma Gandhis sollten sich die Regierenden zu Herzen nehmen und die Ärmel hochkrempeln.