Multi-Krise zwingt zum Realitäts-Check

Über die Klima- und Energiewende wird viel geredet. Die entscheidende Frage ist jedoch: Wird Österreich wieder einmal der reineAnkündigungskaiser bleiben oder können wir endlich über einen ambitionierten, aber realistischen Umsetzungsfahrplan sprechen?

Aktuell wird in vielen Ländern über Dinge diskutiert, die noch vor Monaten undenkbar gewesen wären. In manchen Ländern wird wieder in Atomkraft investiert, Laufzeiten werden verlängert, in Deutschland wird sogar überlegt, als „Brückentechnologie" wieder auf Kohle auszuweichen. Auch in Österreich hat schon vor dem Krieg in der Ukraine die Diskussion Fahrt aufgenommen. Und vieles klingt ambitioniert, beispielsweise 25 Mrd. Euro für eine zusätzliche Erneuerbaren-Produktion von 27 Terawattstunden (TWh), 32 Mrd. Euro für neue Infrastruktur bis 2030, davon etwa 18 Mrd. für das Stromnetz oder auch sieben Mrd. für Stromspeicher–klingt gut, oder?

Das war noch VOR diesem Krieg – jetzt stehen alle Staaten Europas unter einem ungleich größeren Druck, rasch zu handeln. Als „gelernter Österreicher“ beschleicht einen da ein ungutes Gefühl. So etwa bei den Diskussionen über das angekündigte Klimapaket. Dieses sollte die Energiewende begleiten, bestenfalls beschleunigen. An der Spitze vieler Forderungskataloge insbesondere von NGOs
findet sich aber aktuell vor allem eines: Das Thema Klima muss in die Verfassung! Das Erste, worüber wir also wieder einmal diskutieren, sind symbolische Schritte. Warum muss in Österreich immer alles in die Verfassung?! Zumal wir inzwischen Beispiel Schulreform, wissen, wie sehr solch ein Schritt spätere Anpassungen und Reformen erschwert. 

Österreich ist leider oft Ankündigungskaise – es droht wohl dasselbe bei der Energiewende. Es ist nett, wenn wir schöne Ziele ausgeben bis 2030 oder 2040. Der größte Widerspruch in sich ist es aber, wenn wir gleichzeitig nichts tun, um diese auch realistisch erreichbar zu
machen. Was nützt all das Geld für Windräder, neue Infrastruktur, Stromspeicher und Ähnliches, wenn dann Hürde über Hürde den Bau eben dieser verhindert. Behörden-Verfahren, insbesondere Umwelt-Verträglichkeits-Prüfungen (UVP), dauern in Österreich bekanntlich lange, zu lange. 

Zudem ist kein Projekt davor gefeit, selbst nach bestandener UVP-Prüfung erneut aus politischen Gründen auf dem Prüfstand zu stehen. Planungssicherheit sieht anders aus – welches Unternehmen soll hier noch investieren, das Risiko eingehen, über Jahre in ein Projekt Ressourcen zu stecken, um dann womöglich auf den letzten Metern zu scheitern. Selbst im negativen Fall ist eine rasche Ablehnung
jedenfalls besser als jahrelanges Zittern und Herumlavieren. 

Jeder in Österreich will „saubere“ Energie, natürlich. Aber bitte vor MEINEM Haus kein Windrad, in MEINEM Tal kein Wasser- oder
gar Pumpspeicherkraftwerk! Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass. Gerade jetzt ist es Zeit für mehr Realismus: Energiewende
und Klimaschutz werden nicht funktionieren, wenn wir nicht auch in die entsprechende Infrastruktur investieren. Europa und Österreich haben, zum Glück, keine Erfahrung mehr mit etwas, das man früher als „Kriegswirtschaft“ bezeichnet hat, also die konzentrierte Bündelung aller gesamtstaatlichen und privatwirtschaftlichen Maßnahmen, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Auch ohne den Krieg in
der Ukraine hätte es aber genau solcher Maßnahmen bedurft. Jetzt ist es mehr denn je entscheidend, Ökologie und Ökonomie
wieder in Einklang zu bringen.

Anders wird es nicht gehen: Wer A sagt, muss auch B sagen. Dafür braucht es keine Verfassungszusätze oder -gesetze, sondern konkrete Projekte und Maßnahmen eingebettet in einen realisierbaren Masterplan. Das muss dann auch bedeuten, dass selbst Umwelt-NGOs es begrüßen sollten, wenn Bagger in dem einen oder anderen Alpental mit der Arbeit beginnen. Wenn wir den Wandel wollen, müssen wir den Wandel erarbeiten – von schönen Reden kommt nichts, außer etwas heiße Luft.


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