LAND DER TACHINIERER, LEISTUNGSFREI?

Mehr Krankenstände als sonst wo, früherer Pensionsantritt, Trend zu Teilzeit, Wünsche nach der generellen Vier-Tage-Woche – macht Arbeit in Österreich ganz besonders krank?!

Der folgende Kommentar braucht Fingerspitzengefühl, ist aber gleichzeitig sicher notwendig. Denn wir werden anders als bisher über fundamentale Fehler in unseren staatlichen Systemen reden müssen – ob bei den Pensionen, beim Thema Gesundheit oder auch beim Umgang mit dem Thema Arbeit im Allgemeinen.

Die Absicht dahinter soll nicht sein, die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes als chronische Tachinierer, mieselsüchtige „Owezahrer“ oder Leistungsverweigerer zu brandmarken – auch, wenn das derzeit von manchen diskutiert wird. Es sind im Gegenteil ja gerade der Fleiß der Menschen in diesem Land, der Mut der Unternehmer sowie die Innovationskraft unserer Ingenieure und Wissenschaftler die Grundlagen für den Aufstieg Österreichs zu einer wohlhabenden Industrie- und Exportnation nach dem Zweiten Weltkrieg. Darauf waren wir immer stolz: dass wir als kleines Land in vielen Bereichen mit der Weltspitze mithalten können. 

Was hat sich geändert? Oder hat sich überhaupt etwas geändert? Lässt man alte Filme, Kabaretts oder sonstige Zeugnisse österreichischer Populärkultur aus den letzten Jahrzehnten vor dem inneren Auge Revue passieren, dann neigt man eher zur zweiten Interpretation: Österreich wurde schon immer eine gewisse Schlawinerhaftigkeit nachgesagt. Fleißig, ähnlich wie die Deutschen, allerdings ein bisserl mehr auf Bella Vita aus – vielleicht der Einfluss des italienischen Nachbarn. Als Pensionistenparadies, je nach Perspektive gelobt oder beschimpft, wurde Österreich auch schon immer.

Anders geworden sind also vielleicht eben nicht die Österreicher, sondern das Umfeld, die Rahmenbedingungen.

Fangen wir bei den Pensionen an: In Österreich war das faktische Pensionsantrittsalter immer schon relativ gering, nach einem kurzen Höhepunkt in den 70erJahren sank das Antrittsalter dann sogar noch für Jahrzehnte, trotz heftig gestiegener Lebenserwartung. Nur langsam gelingt es uns jetzt, das Antrittsalter wieder in die Höhe zu bringen – zu wenig wurde zu spät getan (Antrittsalter bei Frauen!). Und es hat sich halt immer wieder gezeigt: Wenn es das System erlaubt, und wenn es noch dazu nicht allzu sehr wehtut (Abschläge bei Frühpensionierungen!), dann werden die Menschen die Möglichkeit, möglichst früh in Pension zu gehen, auch nutzen. Ein bisserl was nebenbei pfuschen geht ja immer, auch in der Pension, nicht wahr?

Nehmen wir das Thema Gesundheit: Hier gab es Anfang des Jahres interessante Zahlen zu den massiv gestiegenen Krankenständen in Deutschland und Österreich. Bei unserem Nachbarn, so behauptete gar eine Studie, sei die Rezession zur Gänze auf die gestiegenen Krankenstände zurückzuführen. Auch in Österreich purzelten die Rekorde; für 2023 schätzte das IHS die Kosten durch den Arbeitsausfall nur aufgrund von Atemwegserkrankungen auf drei bis vier Milliarden Euro.

Gefragt nach den Ursachen sprach die Generaldirektorin für öffentliche Gesundheit, Katharina Reich, von einem größten „Schmerzpunkt“, und zwar der hierzulande schwach ausgeprägten Gesundheitskompetenz. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Informationen zum Thema richtig einordnen zu können – angefangen vom Verstehen eines Beipackzettels bis hin zu einer Risikoabschätzung beim Thema Impfen und Ähnlichem. Tatsächlich war Österreich bei den Toten durch Influenza in Europa, wieder mal, der Spitzenreiter – weil selbst vulnerable Gruppen hierzulande die Impfung scheuen. Und dass die Masern, eine Krankheit, die längst ausgerottet sein könnte, wieder die Runde machen … Ich will dieses Thema im Detail gar nicht angreifen.

Nur so viel: Natürlich hat Corona viel ausgelöst, und über die sozialen Medien können sich Impfgegner, Anthroposophen und Globuli-Verfechter ungleich besser gegenseitig bestärken und ihre schrulligen Ideen verbreiten als früher. All das hat aber jedenfalls mit unserem Bildungssystem zu tun, es korreliert mit der ganz allgemeinen Fortschrittsskepsis bzw. -feindlichkeit im Land. Dass hier mehr getan werden muss, pfeifen die Spatzen schon seit Jahrzehnten von den Dächern.

Ebenfalls nicht neu ist das Phänomen Teilzeit – und zwar eben nicht nur bei Müttern oder Frauen bzw. Männern mit Betreuungspflichten, etwa auch im Pflegebereich. Ende des vergangenen Jahres hatte AgendaAustria-Direktor Franz Schellhorn bei uns in der Vorstandssitzung vorgerechnet, dass das gesamte Bevölkerungswachstum seit 1995 (mehr als eine Million Menschen!) in keine einzige neue Vollzeitstelle gemündet sei – sondern eben in die Teilzeit.

Auch hier liegt also nahe: Die Menschen wollen das einfach. Aber warum? Macht Arbeit, wie manche gerne behaupten, immer krank? Ist Arbeit immer Leid? Wir wissen, dass das Gegenteil der Fall ist, hier lohnt beispielsweise ein Blick nach Japan. Es gibt wohl andere Gründe. Erstens einmal: Wer freiwillig seine Stunden reduziert, weiß oft vielleicht gar nicht, welche Auswirkungen das in der Pension haben wird. Hier würde Aufklärung helfen. Aber mehr noch: Wer freiwillig seine Stunden reduziert, scheint sich das auch leisten zu können. Eigentlich ein Luxusproblem. Und noch einmal angemerkt: Wir reden hier jetzt nicht von alleinerziehenden Müttern mit drei Kindern.

Aber es kommt natürlich, drittens, auch hier ein österreichisches Spezifikum hinzu. Ein paar spannende Zahlen dazu: Wer etwa in Ungarn seine Wochenarbeitszeit um 50 bzw. 100 Prozent erhöht, bekommt netto (!) 50 bzw. 100 Prozent mehr Lohn. In Dänemark sind es 44,1 bzw. 86,3 Prozent, in Deutschland immerhin noch 39 bzw. 75,4 Prozent. Und in Österreich: 28,9 bzw. 61,1 Prozent.

Zieht man das in Betracht, wird es schon ein wenig nachvollziehbarer. Wenn Mehrarbeit nur eine geringe Erhöhung des Nettolohns bringt – wozu dann das Ganze? Nur in Belgien gibt es noch weniger Anreize, mehr zu arbeiten, als in Österreich. Es sind also wiederum die falschen Rahmenbedingungen, die falschen Anreize, die wir gesetzt haben.

Und damit zurück zum Anfang: Sind die Österreicherinnen und Österreicher einfach unwillig, Leistung zu erbringen, ist Leistung nix wert? Die Frage birgt viel Konfliktpotenzial – und vielleicht ist die Frage einfach vollkommen falsch gestellt. Wir Österreicher sind ein gemütliches Völkchen, das ist bekannt. Die Frage sollte wohl eher lauten: Tun wir in Österreich genug, um Leistungswillen auch zu belohnen? Tun wir genug, um falsche Anreize in unserem Pensions-, Sozial- oder Gesundheitssystem zu korrigieren?

Es war gerade der Fleiß der Österreicher, der es der Politik viele Jahrzehnte lang ermöglicht hat, Fehler im System mit immer neuem Steuergeld einfach zuzudecken. Diese Zeit ist vorbei. Daraus müssen wir die richtigen Konsequenzen ziehen – und das den Menschen in diesem Land auch in aller Ehrlichkeit sagen.


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