Als Rufer in der Wüste oder eben die sprichwörtliche Seherin der Antike, Kassandra, die immer recht hat, aber der keiner glaubt – so fühlt man sich als Interessenvertreter der Industrie leider oft. Warnt man vor zu hohen Lohnkosten, Energiekosten, Belastungen durch überbordende Regulierung oder Ähnlichem, wird rasch der Vorwurf laut, der Industrie gehe es ja eh gut, man jammere „auf hohem Niveau“; eigentlich gehe es ja nur um die Profitmaximierung.
Als Familienunternehmer ärgert mich das oft doppelt und dreifach: Gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern baut man über Jahrzehnte ein Unternehmen auf, behauptet sich am internationalen Markt und bleibt trotz der immer schon schwierigen Bedingungen hierzulande dem Standort Österreich treu – und dann so etwas. Schon klar: Vor Verhandlungen, etwa den anstehenden KV-Runden, werden immer beide Seiten auf die Zahlen und Fakten hinweisen, die ihre jeweilige Position untermauern. Wichtig ist dann, dass man sich in den Verhandlungen im Kompromiss annähert. Ein klein wenig gegenseitiges „Bashing“ im Vorfeld mag Teil des Spiels sein, zugegeben.
Aktuell aber erreicht die Ignoranz gegenüber der wirtschaftlichen Realität eine neue Qualität – die Fakten scheinen keine Rolle mehr zu spielen. Zuletzt meldete sich beispielsweise der Fachverband Metalltechnische Industrie unmissverständlich zu Wort: Die Industrie ist schon länger in der Rezession, für heuer wird ein Produktionsrückgang von rund sechs Prozent erwartet. Die Gesamtwirtschaft entwickelt sich auch negativ: Laut Statistik Austria sank das BIP im zweiten Quartal um 1,1 Prozent! Mit Blick auf die nahe Zukunft noch dramatischer: Der Auftragseingang in der metalltechnischen Industrie ist bereits um satte 18 Prozent zurückgegangen!
Gleichzeitig haben wir noch immer eine viel höhere Inflation als unsere Mitbewerber in Europa: 7,5 Prozent Teuerung verzeichnete Österreich im August, der Durchschnitt im Euroraum lag bei 5,3 Prozent. Bei den Lohnstückkosten sind wir, leider, top in Europa. In Summe stürzt die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts massiv ab.
Angesichts solcher Zahlen sollte man vermuten, dass alle Kräfte dahin gehend gebündelt werden, mit Vernunft und Behutsamkeit den Verlust von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung in Österreich zu verhindern. Aber was kommt als Reaktion? Man müsse sich auf „harte Verhandlungen“ einstellen, man schrecke „nicht vor Kampfmaßnahmen zurück“, so die Gewerkschaft. Und die Politik? Scheint irgendwie noch immer im Sommerloch festzuhängen; oder das Sommerloch ist nahtlos in den Wahlkampf übergegangen. Persönliche Angriffe werden hin- und hergeschickt, ganze Gruppen werden, teils aufgrund privater Urlaubspläne, pauschal als „der Feind“ auserkoren. „Reiche Menschen sind keine zu schützende Minderheit“ – genauso entbehrlich wie Angriffe auf manche Unternehmer, die nebenbei bemerkt jährlich Unsummen an Steuern und Abgaben ins System einzahlen.
Privatjets gehören sowieso generell verboten, mehr Steuern braucht das Land, ob auf Vermögen oder Erbschaften – und das, obwohl wir eine der höchsten Steuerbelastungen haben. Und ganz wichtig auch die Diskussion darüber, wie viele Kinofilme über ehemalige Kanzler nun angemessen sind oder eben nicht. Und was nicht alles „normal“ ist, war als Diskussion bisher auch nicht allzu gewinnbringend.
All diese Debatten könnten, bitte schön, gerne im Sommerloch verschwinden – es gäbe Wichtigeres! Selbst wenn es vorgezogene Neuwahlen geben sollte, stünden diese nicht vor dem Frühjahr des kommenden Jahrs an – Zeit genug also, das bestehende Arbeitsprogramm weiter abzuarbeiten. Der Wahlkampf kommt ja trotzdem früh genug.
Und die Wahrheit ist: Das dieser Regierung (wahrscheinlich) verbleibende Jahr könnte, wenn wir weiter nichts tun, genau das eine Jahr zu viel sein, das es uns dann langfristig unmöglich macht, aus dieser Krise wieder nachhaltig herauszukommen. Der Staat darf und kann nicht alle Krisen mit immer neuen Geldgeschenken kompensieren. Wir geben alles Geld für Konsum in der Gegenwart aus, investieren viel zu wenig in unsere Zukunft, geschweige denn in die Zukunft unserer Kinder. Noch mehr Wohlfahrtsstaat ist ebenso unklug wie noch weniger kluge Industrie- und Wirtschaftspolitik.
Wir müssen endlich über die wirklich wichtigen Fragen diskutieren: Wie können wir unsere Wettbewerbsfähigkeit als Standort wieder stärken? Wie eine nachhaltige Energieversorgung sicherstellen? Wie die gesamte Steuerbelastung senken? Fairness und Generationengerechtigkeit im Pensionssystem? Umgang mit dem Arbeitsund Fachkräftemangel? Mehr Investitionen in Bildung, Innovation und Forschung?
Darüber und über noch viel mehr sollten wir intensiv sprechen, nicht über die Frage, welche Kinofilme nun wann anlaufen und warum. Ansonsten werden wir uns in der Zukunft über wirklich saftige Dokumentarfilme im Kino „freuen“ können: Filme darüber, wie das einst so reiche und erfolgreiche Österreich durch politisches Nichtstun seine Zukunft als Industriestandort – und damit seinen Wohlstand – ohne Not verspielt hat.
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