Standortpolitik ist ein sehr sensibles Feld. Unternehmen müssen möglichst langfristig planen können, deshalb reagieren sie auch recht allergisch auf regulatorische Unsicherheiten. Kommen in Österreich demnächst Vermögens- und Erbschaftssteuern, wie von vielen so lauthals getrommelt? Unsicher? Nun, vielleicht warten wir mit Investitionen in den Standort Österreich dann lieber mal ab, anderswo könnte es attraktiver sein. Diese Art des Denkens, des ewigen Vergleichens relevanter Standortfaktoren, ist für jeden international tätigen Unternehmer vollkommen normal. Und zum Glück – das ist ja gerade die Erfolgsgeschichte Österreich – sind inzwischen auch viele heimische Familienunternehmen zu ebensolchen international tätigen und erfolgreichen Unternehmen geworden.
In meiner Rede bei unserem diesjährigen Sommerfest habe ich diese Erfolgsgeschichte betont. Unser eigenes Unternehmen ist seit über 150 Jahren in Wien verankert. Verankert, aber nicht verwurzelt. Natürlich fühle ich mich als Familienunternehmer unserer Tradition, unserem Standort Wien verbunden. Aber als Unternehmer muss ich am Ende des Tages vor allem das Wohlergehen meines Unternehmens und meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Blick haben. Produktion war in Österreich schon lange überdurchschnittlich teuer, dass manche Produktionen ins billigere Ausland abwandern würden, lag nahe. Umso mehr müssten wir für jede verbleibende Produktion kämpfen – die Finanzkrise 2008 hat uns ja klar gezeigt, wie wichtig eine gesunde industrielle Basis für die Resilienz einer Volkswirtschaft ist. Die Industrie ist und bleibt das Rückgrat, auch und gerade in Österreich.
In den vergangenen Jahren hat eine Hiobsbotschaft die andere gejagt, ich will gar nicht alle aufzählen. Aufgrund falscher politischer Impulse haben wir es aber jedenfalls geschafft, hierzulande eine viel höhere Teuerung zu haben als unsere europäischen Mitbewerber. Die Abfederung dieser Rekordinflation hat man dann, und zwar nachhaltig wirksam und zur Gänze, den Unternehmen aufgebürdet. 20 Prozent höhere Löhne und Gehälter in zwei Jahren! Und es kam, wie es kommen musste: Die Industrie befindet sich im zweiten Rezessionsjahr, immer häufiger liest und hört man von Personalabbau, Werkschließungen, Produktionsverlagerungen, sinkenden Investitionen und, und, und …
Und manchen reicht das noch immer nicht! Die 32-Stunden-Woche muss her! Bei vollem Lohnausgleich! Eine generelle sechste Urlaubswoche für alle! Und überhaupt: die Work-Life-Balance! Die Gewerkschaften erweisen ihrer Klientel gerade einen Bärendienst. Und dann noch die Forderung nach neuen, standortschädlichen Steuern. Würde man all das umsetzen, was da so herumgeistert, man könnte den Standort Österreich auch getrost einfach ganz zusperren. Immerhin arbeitet schon jetzt niemand in Europa weniger als wir in Österreich (im Schnitt laut Eurostat nur 33,6 Stunden pro Woche!) und hat gleichzeitig mehr Urlaub bzw. Feiertage im Jahr.
Das ist in mehrerlei Hinsicht bedauerlich. Einmal, weil wir in Österreich doch immer so gerne die „funktionierende Sozialpartnerschaft“ als einen ganz wesentlichen Faktor der Erfolgsgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg betonen. Und auch heute ist es noch so, dass man von vielen Unternehmern hört, dass auf der betrieblichen Ebene diese Sozialpartnerschaft nach wie vor gut funktioniert; dass Betriebsräte vor Ort auch einen realistischen Blick auf ihr Unternehmen haben. Und daher oftmals auch bereit sind, schwierige Entscheidungen mitzutragen.
Auf der höheren Ebene hat man nicht mehr das Gefühl, dass die Sozialpartnerschaft noch allzu funktionabel ist, ich würde eher von einer „dysfunktionalen Sozialpartnerschaft“ sprechen. Ideologie und Wunschdenken dominieren überhaupt weite Teile des politischen Geschäfts. Dabei bräuchten wir gerade jetzt dringend einen nüchternen, abwägenden Diskurs über die großen Herausforderungen, vor denen wir stehen – und vor denen wir seitens der IV so oft und lange gewarnt haben.
Häufig wurde uns dabei vorgeworfen, wir würden ja nur den Standort „krankjammern“, das sei alles nur ein Schauspiel. Aber es war eben kein „Jammern“, es war einfach und simpel ein Warnen vor den Konsequenzen falscher politischer Weichenstellungen. Und siehe da: Laut dem jüngsten IMD-Ranking zur Standortqualität ist Österreich mittlerweile auf Rang 26 angekommen. Noch 2007 waren wir auf Rang elf! „You can ignore the facts. But you cannot ignore the consequences of ignoring the facts“ – wie wahr!
Und damit einmal zurück, zur so gerne zitierten „Work-Life-Balance“ – meiner Meinung nach eine der dümmsten Wortschöpfungen unserer Zeit! Warum werden „Arbeit“ und „Leben“ als Gegensätze hingestellt? Ist nicht Arbeit sinnstiftender Teil des Lebens? Oder ist diese Einstellung antiquiert? Selbst wenn, wäre eine solche Perspektive auf das Thema „Arbeit“ nicht viel konstruktiver? Auch der Begriff „Leistung“ ist aus der Mode gekommen, wie es scheint. Aber warum? Leistung war auch immer ein zentraler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft. Zumindest dieser Konsens war schon lange Zeit vorhanden, dass man nämlich nur verteilen kann, was man zuerst auch verdient hat.
Es wäre dringend notwendig, dass wir uns auf manche dieser „alten Tugenden“ wieder zurückbesinnen. Denn eines muss jedem klar sein: So wie bisher kann es langfristig nicht weitergehen. Wir haben in der Vergangenheit irgendwann begonnen, Baustellen in unseren öffentlichen Systemen mit immer mehr Steuergeld zuzudecken, anstatt vorhandene Strukturen auch einmal zu reformieren. Nur wie schon Einstein trefflich anmerkte: „Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.“ Das gilt eben auch in Österreich: Wir brauchen nicht mehr vom immer Gleichen – wir brauchen in diesem Land eine breite Reformpartnerschaft, die sich auch traut, „heilige Kühe“ zu schlachten.
Im Wahlkampf wird nicht mehr viel passieren – kann man eigentlich nur hoffen. Denn angesichts der inzwischen schon mehr als deutlichen Warnungen des Fiskalrates, dass sich das mit der Budgetprognose des Bundes alles nicht ausgehen kann, dass wir selbst die eigentlich ohnehin extrem großzügigen Maastricht-Kriterien nicht einhalten werden können, angesichts dessen ist das Letzte, was wir brauchen, teure „Wahlzuckerl“ wie in vergangenen Jahren.
Egal wer nach der Wahl im Herbst die nächste Bundesregierung bilden wird: Es wartet ein ungeheurer Berg an zu erledigenden Hausaufgaben. Und dann wird es sich zeigen, ob wir einen „Kipppunkt“ erreicht oder gar überschritten haben: Gelingt der standortpolitische Turnaround oder geht die schleichende Deindustrialisierung weiter? Denn das ist eben so eine Sache mit „Kipppunkten“: Sie sind irreversibel. Und Produktionen, die man einmal verloren hat, wieder zurückzubekommen, ist leider beinahe aussichtslos. Das muss allen bewusst sein, denn es ist bereits fünf nach zwölf!
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