Wir Österreicher sind ganz allgemein wirklich gut darin, uns mit alter Glorie zu schmücken. Die Verklärung der Habsburger-Monarchie etwa ist eines der absoluten Tourismus-Assets unseres Landes, und auch sonst hängen wir gerne an Symbolen der vermeintlich „guten alten Zeit“. So ein Symbol war und ist (immer noch ein wenig) unsere eigene Fluglinie, die AUA. Das war ja auch ein wesentlicher Grund, warum 2020, also vor gerade mal vier Jahren, die Republik mit einem großzügigen Rettungspaket ausrückte, um der angeschlagenen Airline unter die Arme zu greifen. Eine eigenständige staatliche Fluglinie waren die Austrian Airlines schon damals nicht mehr, aber die Politik und die Medien bemühten fleißig Bilder aus alten Zeiten, inklusive freundlicher Flugbegleiterinnen und Flugbegleiter in klassisch roten Outfits.
Daran ist jetzt prinzipiell nicht alles falsch; nicht zu Unrecht wurde die gelungene Rettung der AUA damals als „gute Nachricht für den Standort“ von vielen begrüßt. Auch in den weiteren Coronajahren wurde großzügig geholfen – so weit, so gut. In den vergangenen Wochen mussten wir nun aber alle einem traurigen Spiel zusehen, das am Ende dazu führen könnte, dass das beliebte Symbol AUA in der Zukunft nicht mehr ganz so glorreich aussehen könnte. All die Mühen, die AUA als starken Home-Carrier – und damit den Flughafen Wien als Drehkreuz mit Langstreckenverbindungen – zu erhalten, werden aufs Spiel gesetzt.
Wie in anderen Branchen hat die in Österreich überdurchschnittlich hohe Inflation auch bei der AUA dazu geführt, dass die Lohnforderungen immer höher wurden. Nebenbei bemerkt: Inzwischen befinden wir uns recht deutlich in einer klassischen Lohn-Preis-Spirale, denn die extrem hohen Lohnanpassungen der vergangenen Jahre heizen mittlerweile die Teuerung weiter an. Die Spirale dreht sich munter weiter, für den Standort Österreich leider pures Gift. Aber bleiben wir beim speziellen Fall AUA.
Die Gewerkschaftsforderungen zu Beginn des Arbeitskampfs bei der Fluglinie waren geradezu unverschämt. Von Gehaltsanpassungen um bis zu 40 Prozent war da die Rede; man wolle die Angleichung an die Löhne und Gehälter der Mutter Lufthansa. Dass man hier aus unterschiedlichen Gründen (Marktpositionierung, Ertragslage etc.) den 1:1-Vergleich lieber unterlassen sollte – geschenkt. Dass die AUA (siehe Hilfspaket 2020) ohnehin offenbar sehr genau kalkulieren muss, gerade um auch unprofitablere (aber für den Standort wichtige) Flugverbindungen aufrechtzuerhalten, wurde ebenfalls ausgeblendet.
Nun ist es das Recht eines jeden Arbeitnehmers, zu streiken. Arbeitsniederlegungen waren aber, zumindest in Österreich, in der Vergangenheit immer das letzte Mittel. Denn eine „funktionierende Sozialpartnerschaft“ lebt eigentlich vor allem vom tragfähigen Kompromiss. Wenn es aber zum Arbeitskampf kommt, zum Streik, dann wird ja, durchaus bewusst, das jeweilige Unternehmen beschädigt. Zu lange darf so ein Arbeitskampf also auch nicht dauern, sonst gibt es irgendwann das Unternehmen nicht mehr, das man eben noch bestreikt hat.
Mitte April wurden nun Bedenken laut, dass wir uns vor genau einem solchen Szenario befinden könnten. Streik und Betriebsversammlungen haben bei der AUA in diesem Frühjahr bereits zu unzähligen Ausfällen geführt, insgesamt hat die Fluglinie dadurch im ersten Quartal einen ordentlichen Verlust eingefahren, das bereinigte Betriebsergebnis (EBIT) liegt bei minus 122 Mio. Euro – das zweitschlechteste Ergebnis in einem ersten Quartal in der Unternehmensgeschichte.
Dennoch wurde ein erneuter Kompromissvorschlag des Managements abgelehnt, der Arbeitskampf wurde verlängert. Die Reaktion der Arbeitgeberseite war, verständlicherweise, leider sowohl vorhersehbar als auch realistisch: Man werde sich in den nächsten Tagen und Wochen „Gedanken über die Zukunftsfähigkeit von Austrian machen“ müssen – so das Management Mitte April.
Auch in anderen Branchen haben die extremen Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre viele Unternehmen an den Rand (teils über den Rand) der Belastungsfähigkeit gebracht. Selbstverständlich ist das auch bei der AUA so. Wenn die Kosten durch überzogene Lohnforderungen weiter ausufern, wird man umdenken müssen: Weniger profitable Strecken streichen, weniger Verbindungen, weniger Flieger. Doch das bedeutet auch: weniger Personal.
Versteht man bei den Gewerkschaften, aber auch bei vielen Mitarbeitern, noch immer nicht, dass es zahlreiche unserer guten Unternehmen bald nicht mehr geben könnte? Weiß man, was internationaler Wettbewerb bedeutet? Dass wir immer weniger wettbewerbsfähig sind? Oder ist die persönliche Profilierung mancher Gewerkschaftsfunktionäre innerhalb ihrer Organisation wichtiger als das Firmen- und damit auch das Gemeinwohl? Eine „funktionierende Sozialpartnerschaft“ hätte stets auch den Unternehmenserfolg im Blick – denn immerhin muss man das Geld, das man als Lohn oder Gehalt erhalten will, zuerst auch gemeinsam verdienen. Daher muss jede Seite immer auch wissen, wann es zu viel ist, wann Forderungen und das Beharren auf diesen die gemeinsame Zukunft infrage stellen.
Was den Fall AUA besonders bitter macht, ist, dass eine Fluglinie ein besonderes Unternehmen ist: An der AUA und ihren Verbindungen hängen nicht nur die Jobs bei der Fluglinie selbst. Die AUA als unser Home-Carrier ist ein zentraler und unverzichtbarer Standortfaktor. Flugausfälle kosten auch in anderen Unternehmen Geld, gestrichene Verbindungen ebenso. Man fühlt sich hier ein wenig in Geiselhaft genommen.
„Funktionierende Sozialpartnerschaft“ ist das nicht. Ist dieser Mythos also womöglich inzwischen genauso aus der Zeit gefallen wie „Franz und Sisi“, die aus unzähligen Souvenirläden in der Wiener Innenstadt grüßen? Beantworten kann das schlussendlich wohl nur die Gewerkschaft. Das macht derzeit wenig hoffnungsfroh. Die Gewerkschaftsvertreter, aber auch viele Politiker (und dadurch leider wir alle gemeinsam) bekommen nun die Rechnung serviert, die ein amerikanischer Spruch trefflich auf den Punkt bringt: „You can ignore the facts, but you cannot ignore the consequences of ignoring the facts!“
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