Problemlösung, kritisches Denken, Offenheit, Kollaboration sowie Kommunikationsfähigkeiten – um die aktuellen Herausforderungen und jene der Zukunft bewältigen zu können, brauchen wir Verständnis für die raschen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Welt. Aber werden diese Fähigkeiten in Österreich auch hinreichend vermittelt?
Seit Jahren verfügen viele junge Menschen am Ende der Schulpflicht nicht über ausreichende Grundkompetenzen. Der Ursprung liegt oft schon im Kindergarten, der noch nicht als das gesehen wird, was er eigentlich ist: die erste Bildungseinrichtung. Für die Volksschule und die Sekundarstufe I gibt es bereits einen neuen Lehrplan, der auch Kompetenzen beinhaltet, die über Schulfächer hinausgehen – jetzt geht es darum, sicherzustellen, dass diese Kompetenzen wirklich bei der nächsten Generation ankommen und sie zukunftsfit machen.
Die Herausforderung
Die Kinderbetreuungsquote der unter Dreijährigen liegt österreichweit nur bei 29,9 Prozent. Es fehlen immer noch Tausende Betreuungsplätze, um das Barcelona-Ziel von 45 Prozent zu erreichen. Österreichweit haben 14 Prozent der Einrichtungen nur bis 14 Uhr geöffnet, die Zahl der durchschnittlichen Schließtage liegt bei 22,3; sieben Prozent haben mehr als 51 Schließtage. Öffnungszeiten und die Anzahl der Schließtage von Kinderbetreuungseinrichtungen haben einen wichtigen Einfluss auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Besonders im ländlichen Raum bestehen nach wie vor Engpässe in der Betreuung.
Das hat in erster Linie Auswirkungen auf die Beschäftigungsquote der Eltern, bedeutet aber auch, dass viele Kinder in Österreich erst später ins Bildungssystem einsteigen können. Elementare Bildungseinrichtungen, Tageseltern oder Kindergruppen sind neben der Familie die ersten Bildungsorte für mehr als 330.000 Kinder. Quer durch Österreich spannt sich jedoch ein Fleckerlteppich aus unterschiedlichen strukturellen, organisatorischen und pädagogischen Rahmenbedingungen. Damit hängt gute Elementarbildung vom Wohnort ab. Besonders die Vermittlung von Sprache und die Förderung des Interesses an Technik und Naturwissenschaften erfordern Fort- und Weiterbildungen für Pädagoginnen und Pädagogen.
Die Chance
Jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert wird, kommt achtfach zurück. Naturwissenschaftlich-technische Qualifikationen und digitale sowie Alltagskompetenzen sind ein Schlüssel zur Bewältigung künftiger gesellschaftlicher Herausforderungen. Das natürliche Interesse von Kindern an MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) sollte daher möglichst früh gefördert werden. Auch die Sprachbildung ist ein wesentlicher Pfeiler für einen erfolgreichen Bildungsweg und damit die Zukunftsfitness. Ganz nebenbei werden Familien und insbesondere junge Mütter von einem flächendeckenden und qualitativ hochwertigen Angebot an elementarpädagogischen Bildungseinrichtungen stark entlastet. Frauen, die Kinderbetreuung nutzen, sind häufiger und früher wieder berufstätig und arbeiten auch häufiger in Vollzeit.
Die Herausforderungen
Wenn der Übergang vom Kindergarten in die Schule geschafft ist, zeigt sich erneut, dass es an manchen Stellen noch Aufholbedarf gibt. Mehr als die Hälfte der Kinder haben am Ende der Mittelschule Schwächen beim Lesen und Rechnen: Die jüngsten österreichischen Bildungsstandards-Überprüfungen haben ergeben, dass 21 Prozent der Schülerinnen und Schüler der achten Schulstufe die Standards in Deutsch und Mathematik nicht erreichen und weitere 34 Prozent nur teilweise – das ergibt eine jährliche Risikogruppe von 55 Prozent. Bei der Lesekompetenz erreichten 24 Prozent bzw. 35 Prozent die Mindeststandards nicht bzw. nur teilweise. Die neueste PIRLS-Studie hat zudem erneut eindrücklich gezeigt, dass der Bildungserfolg in Österreich mit dem sozioökonomischen Hintergrund der Eltern zusammenhängt. Die privaten Ausgaben für Nachhilfeleistungen zeigen ein ähnliches Bild. Das ist ein systemisches Problem, dem dringend umfassende und nachhaltige Reformen entgegenzusetzen sind.
Die Chance
Bisher wird in Österreich die Schulpflicht mit dem Absitzen von neun Jahren erfüllt. Ein guter Hebel wäre die Einführung der sogenannten Bildungspflicht inklusive Mittlerer Reife – beides steht seit 2020 auch im Regierungsprogramm. Jetzt geht es um die Umsetzung.
Innerhalb der Phase der Bildungspflicht (von der ersten bis achten Schulstufe) soll von allen Beteiligten des Bildungssystems das Erreichen eines verlässlichen, anschlussfähigen Wissens- und Kompetenzniveaus ins Zentrum gestellt werden. Daher ist auf individuelle Fördermaßnahmen ein besonderer Fokus zu legen. Am Ende der Bildungspflicht sollte es einen zertifizierten, offiziellen Abschluss geben: die Mittlere Reife. Ein Teil dieses Abschlusses stellt dabei ein zentrales, externes und bundesweites Kompetenzscreening dar – zumindest in Deutsch, Mathematik und Englisch. Ein weiteres wichtiges Element ist die Erarbeitung eines Stärkenportfolios, in dem gezielt die Stärken der Kinder und Jugendlichen gesammelt werden, um sie bei der Wahl ihres weiteren Bildungs- und Berufswegs zu unterstützen.
Oberstes Ziel ist, die Kinder und Jugendlichen auf ein verlässliches und hohes Kompetenzniveau zu bringen und ihnen damit das Rüstzeug für eine erfolgreiche Bildungs- und Berufslaufbahn mitzugeben.
Im Juli fand im Haus der Industrie eine bemerkenswerte Veranstaltung statt, die die Förderung hochbegabter junger Talente in den Mittelpunkt stellte: der „Tag der Wissenschaftsolympiaden“, organisiert vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung (BMBWF) mit Unterstützung der IV. Der Tag war ein schöner Anlass, um Spitzenleistungen von Schülerinnen und Schülern vor den Vorhang zu holen, sie gebührend zu feiern und ihre nationalen und internationalen Erfolge auch besser in der Öffentlichkeit bekannt zu machen.
Das Thema Spitzenleistung und Exzellenz ist häufig gesellschaftlich, aber auch politisch noch etwas unterbelichtet. Bildungsgerechtigkeit ist dabei eines der wichtigsten Anliegen – der Begriff bedeutet unter anderem, dass alle Schülerinnen und Schüler so gefördert werden, dass ein bestmöglicher Lern- und Bildungserfolg gesichert ist. Also: individuelle Förderung, die leistungsschwache, aber genauso begabte und besonders leistungsfähige Kinder und Jugendliche umfasst.
In den Bildungsprogrammen der IV ist daher immer von „Mehr Spitze und mehr Breite“ die Rede. Konkret bedeutet das: eine gute Grundbildung für alle Kinder und Jugendlichen, gewisse Standards, die alle erreichen müssen. Und: Förderung spezieller Interessen, Begabungen und Stärken sowie Aufbau individueller Expertise.
Wir müssen Begabte fördern, das Potenzial in der Spitze nutzen, Leistung erreichen und die soziale Selektion verringern. Ein modernes Bildungswesen kann und muss beides schaffen.
Die Herausforderung
Im Zentrum gelingender Schule steht ein wertschätzender, vertrauens- und zugleich anspruchsvoller Blick auf die Rolle der Lehrpersonen und ihre Profession. Pädagoginnen und Pädagogen sind die „Bildungsexpertinnen und Bildungsexperten der Praxis“, die eigenverantwortlich pädagogische Entscheidungen treffen sollen. Aktuell entscheiden sich in Österreich zu wenige junge Menschen dafür, diesen Beruf zu ergreifen.
Ein möglicher Grund dafür kann das derzeit wenig attraktive Lehramtsstudium sein. Im europäischen Vergleich ist die Studiendauer in Österreich lang – der Bachelor, der in den meisten Studienrichtungen auf drei Jahre angelegt ist, dauert im Lehramt vier Jahre.
Die Chance: Ausbildung reformieren
Zunächst geht es darum, die Studiendauer zu vereinheitlichen. Sinnvoll wären aus Expertensicht drei Jahre für den Bachelor und zwei Jahre für den Master. Zudem wäre auch die Möglichkeit eines berufsbegleitenden Masterstudiums ins Auge zu fassen. Wichtig ist darüber hinaus, Theorie und Praxis besser zu verzahnen – eine Analyse der aktuellen Ausbildung hat gezeigt, dass dieser Transfer einer der erfolgsrelevantesten Punkte ist. Regelmäßige Praxis in der Klasse bietet erst die Möglichkeit einer ständigen Reflexion und Erprobung der eigenen pädagogischen Fähigkeiten. Es wäre daher bei einer Reformierung speziell darauf zu achten, dass wissenschafts- und praxisbezogene Ausbildungsteile gut aufeinander abgestimmt sind.
Berufseinstieg: Onboarding an den Schulen optimieren
Gerade die ersten Schritte im Beruf müssen gut begleitet werden – bei der Einführung ins Lehramt ist das die Induktionsphase. Hier gilt es, das Gelernte in der Praxis umzusetzen, Erfahrungen zu sammeln und zu reflektieren. Vor Eintritt in die Induktionsphase muss eine ausreichende Grundlage an fachlichen, fachdidaktischen und pädagogischen Kompetenzen erworben werden. Dann braucht es an den Schulen ausreichend Zeit und Kapazität für ein hochqualitatives Mentoringprogramm durch die älteren Lehrkräfte für die Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteiger. In Fällen, in denen das gut gelingt, zeigt sich ein signifikanter Kompetenzzuwachs bei den Jungen.