Mehr Risikobereitschaft, Wettbewerbsdenken und Eigenverantwortung!

IV-Wien-Präsident Christian C. Pochtler im Gespräch mit den iv-positionen über die Herausforderungen des abgelaufenen Jahres und welche Themen jetzt in Angriff genommen werden müssen. 

Sie sind seit Herbst 2019 Präsident der IV-Wien. Welche Zwischenbilanz lässt sich über die ersten zwei Jahre Ihrer Präsidentschaft ziehen?

Als ich mein Amt angetreten habe, hätte ich nie vermutet, dass diese zwei Jahre derart turbulent würden – eine wirkliche Zeitenwende. Selbst wenn man die innenpolitischen Umbrüche der vergangenen Wochen einmal beiseitelässt, haben wir in ganz vielen Bereichen unseres Lebens grundlegende Veränderungen gesehen: von der Gesundheit über die Arbeitswelt bis zu massiven Einschnitten in den Perspektiven vieler Unternehmen. Drastische Versorgungsengpässe in Betrieben, umfassende Restriktionen in der persönlichen Freiheit – selbst für Menschen, die mit Impfungen, Tests und Masken solidarisch ihr Umfeld zu schützen versuchen – und leider ein immer heftigerer Bruch quer durch die Gesellschaft.

Aber nicht alles ist negativ. Die Pandemie hat etwa auch zu einem ungeheuren Digitalisierungsschub geführt, der sonst wohl noch viele Jahre gebraucht hätte. Viele von uns arbeiten heute ganz selbstverständlich digitaler als vor Corona. Erst das Ausweichen in die digitale Welt – in die uns das Virus nicht folgen konnte – hat es uns ermöglicht, ein relativ kontinuierliches Arbeiten zu gewährleisten und auch das Bildungsangebot auf allen Stufen aufrechtzuerhalten. Und die digitale Infrastruktur inklusive der Provider hat die extreme Hochskalierung bravourös gemeistert.

 
Stichwort „politische Umbrüche“: Wie beurteilen Sie die jüngsten innenpolitischen Entwicklungen?

Als ich vor zwei Jahren IV-Wien-Präsident geworden bin, war noch Brigitte Bierlein Bundeskanzlerin. Seitdem gab es drei Kanzlerwechsel, zwei davon inmitten der größten Gesundheitskrise unserer Generation. Es ist nun allerhöchste Zeit, dass wieder Stabilität, Perspektive und Verlässlichkeit in die österreichische Innenpolitik zurückkehren. In erster Linie natürlich, um endlich diese Pandemie in den Griff zu bekommen, aber auch, damit die Politik, nach all den Irrungen, Wirrungen und dem kleinlichen Hickhack der letzten Jahre, wieder gemeinsam gestalterisch tätig werden kann. Für Standort, Wirtschaft und Industrie braucht es klare und berechenbare politische Verhältnisse. Wir werden die Situation jedenfalls genau beobachten und nach Kräften dazu beitragen, dass die Bundesregierung – in neuer Konstellation – nun wieder in geordneten Bahnen für den Standort und, wie so oft zitiert, für „die Menschen in unserem Land“ arbeiten kann.

Kommen wir wieder zurück zu Corona. Welche Auswirkungen hat die Pandemie auf die Industrie?

Die enormen Disruptionen in den globalen Lieferketten und die vielfältigen Einschränkungen zu Beginn der Krise waren für viele Unternehmen ein unbekanntes Neuland. Nunmehr haben wir mit explodierenden Energiepreisen, Rohstoffmangel und Kostenerhöhungen zu kämpfen, die auch noch 2022 anhalten werden. Gerade die Industrie hat aber ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt und konnte, durch agiles Management und pragmatische Lösungsorientierung, als Motor der Wirtschaft den Herausforderungen dieser Zeit ohne allzu große Schrammen trotzen.

Die Beschleunigung des Wirtschaftswachstums wird die Nagelprobe sein: Es braucht strategische Investitionen und überzeugende Entwicklungsimpulse – bei F&E, bei einer Fachkräfteoffensive, bei der Digitalisierung. Und es braucht den Mut, „alte Dogmen“ aufzubrechen, zum Beispiel durch eine tiefgreifende Reform des bald nicht mehr zu finanzierenden Pensionssystems – Stichwort „Anpassung des Antrittsalters an die steigende Lebenserwartung“. Mehr denn je benötigen wir für diese Weichenstellungen nach der Pandemie neuen Freiraum für mehr Risikobereitschaft, Wettbewerbsdenken und unternehmerische Eigenverantwortung.

Speziell der Arbeitsmarkt verändert sich stark…

Nicht erst seit der Pandemie sind Unternehmen gefordert, rasch und klug auf Veränderungen am Arbeitsmarkt zu reagieren. Der Fachkräftemangel etwa begleitet uns schon seit geraumer Zeit und stellt viele Betriebe vor große Herausforderungen. Darüber hinaus bemerken wir auch seit Längerem, dass sich die Relevanz des „Arbeitens an sich“ für viele Menschen signifikant verändert. Die Mentalität und Erwartungen der Arbeitnehmer an ihre Jobs sind heute ganz andere als noch in meiner Generation. Faktoren wie Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Company Purpose oder Diversität und Nachhaltigkeit gewinnen bei der Stellenauswahl immer mehr an Bedeutung – dieser Trend hat sich durch die Pandemie weiter beschleunigt.

Um in dieser „New World of Work” wettbewerbsfähig zu bleiben, braucht es nicht nur die richtigen Rahmenbedingungen, sondern auch wir als Arbeitgeber müssen uns neu erfinden. 

Sie fordern auch immer wieder eine „echte“ Steuerreform – mit welchen Eckpfeilern?

Die Bundesregierung hat mit der ökosozialen Steuerreform einen ersten wichtigen Schritt in Richtung ökologischer Nachhaltigkeit bei gleichzeitiger Wahrung unserer Wettbewerbsfähigkeit gesetzt. Aber dabei darf es nicht bleiben. Ein strukturelles Problem ist etwa die „Kalte Progression“, die gerade in Zeiten starker Inflation schleichend an den Einkommen hart arbeitender Menschen nagt. Ich setze mich daher seit Beginn meiner Präsidentschaft vehement für die Abschaffung dieser „Vermögensteuer für kleine und mittlere Einkommensbezieher“, dieser „Umverteilung von unten nach oben“, ein und werde dies auch weiterhin tun! Die Bundesregierung hat die Abschaffung dieser ungerechten Besteuerung bis zum Ende der Legislaturperiode in Aussicht gestellt, ich werde sie beim Wort nehmen. Darüber hinaus muss auch die lange angekündigte Gleichstellung von Eigenkapital mit Fremdkapital, konkret die Abzugsfähigkeit fiktiver Eigenkapitalzinsen, rasch umgesetzt werden, um Unternehmen eine stärkere Eigenkapitalbildung – und damit eine bessere Krisenvorsorge – zu ermöglichen.

Nach dem Ende der Pandemie wird das Thema „Nachhaltigkeit“ voraussichtlich noch stärker in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken. Sie plädieren hier stets für einen holistischen und pragmatischen Zugang. Was bedeutet das? 

Der Klimawandel kann nur durch ein Zusammenwirken aller gesellschaftlichen Kräfte effektiv bekämpft werden – in Österreich, in Europa und weltweit. Dafür ist es notwendig, neben der ökologischen Dimension auch ökonomische und soziale Komponenten mit zu bedenken und all diese Elemente sorgfältig auszutarieren. Das kann nur gelingen, wenn ideologische Scheuklappen abgelegt werden und mehr ergebnis- und technologieoffener Pragmatismus in die politische Entscheidungsfindung Einzug hält.

Die digitale Transformation der Wirtschaft ist in aller Munde. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht? 

Die rasche Digitalisierung von Wirtschaft, Gesellschaft und industrieller Produktion ist ein absolutes Schlüsselziel, um als Wirtschaftsstandort und starker industrieller Player konkurrenzfähig zu bleiben. Im europäischen Vergleich sind wir dabei noch deutlich vom Spitzenfeld entfernt – im Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission etwa liegen wir aktuell nur auf Platz 10.

Hier spielen mehrere Faktoren eine Rolle: Es bedarf z.B. weiterer Investitionen in die digitale Infrastruktur, auch der Fachkräftemangel ist gerade im Digitalbereich besonders gravierend. Eine zentrale Rolle spielen für mich aber Mentalitäts- und Imagefragen. Digitalisierung wird in Österreich leider immer noch oft mit Argwohn beäugt. Diese Vorbehalte müssen zügig abgebaut werden, damit Digitalisierung auch bei uns als Chance für alle begriffen werden kann. Eine langjährige Forderung von mir ist zudem, dass sich Wien noch stärker als „Technologiemetropole von Weltrang“ positionieren muss, um auch langfristig attraktiv für innovative Unternehmen zu bleiben.

Abschließend ist mir noch einmal ganz wichtig zu betonen: Unsere Industrie mit ihren vielfältigen und höchst innovativen Unternehmen war und ist der Motor, der uns durch und aus dieser Wirtschaftskrise gezogen hat. Sollte das nicht Anlass genug sein, dass sich Österreich in Zukunft insgesamt in ein unternehmerfreundlicheres Land entwickelt? 

Foto: Manuel Ortlechner

IV-Wien-Präsident Mag. Christian C. Pochtler

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