Kühler Kopf statt heißer Herbst

Die hohe Inflation hat zumindest einmal zu einer systemischen Reform in Österreich geführt. Das ist gut so, die Menschen brauchen mehr Netto vom Brutto. Mit Blick auf die Lohnverhandlungen im Herbst wird nun aber viel Vernunft und Augenmaß gefragt sein.

Die Inflation ist mittlerweile für alle spürbar. Steigende Preise machen das Leben teurer, ob nun an der Tankstelle oder im Supermarkt. Die Menschen brauchen mehr Geld. Aus genau diesem Grund haben wir auch seitens der IV-Wien immer und immer wieder gefordert, dass endlich die kalte Progression abgeschafft und kleinere Einkommen über eine Senkung der Lohnnebenkosten zusätzlich entlastet werden müssen.


Bei aller an dieser Stelle oft geäußerten Kritik an der heimischen Politik sowie dem chronischen österreichischen Reformunwillen, wenn es um systemische Reformen geht, muss man nun auch einmal festhalten: E pur si muove! Und sie bewegt sich ja doch, die Politik. Mit dem jüngsten Antiteuerungspaket wurde ein ausgewogener Mix aus Maßnahmen für Menschen und Unternehmen gefunden, und vor allem: Die Politik hat sich trotz des anfänglichen Unwillens (man denke nur an manche Aussagen von Regierungsmitgliedern noch zu Jahresbeginn…) auf eine wirklich nachhaltige, weil systemische Reform geeinigt. Die kalte Progression wird endlich abgeschafft - zumindest größtenteils.


Wird das alles aber reichen, um den Menschen in Zeiten der galoppierenden Teuerung spürbar zu helfen? Mit Blick auf den Herbst kommt dieser Frage inzwischen eine ganz besondere Bedeutung zu. Denn seitens der Gewerkschaften wird bereits seit dem Vorjahr getrommelt, dass man sich die hohe Teuerung über die KV-Verhandlungen „zurückholen“ werde. Das ist aus Sicht der Gewerkschaften eine verständliche Position. Auf den ersten Blick klingt die Forderung auch plausibel. Aber die Wahrheit ist selten eindimensional - und im Herbst wird es entscheidend sein, kühlen Kopf zu bewahren und die Gesamtsituation im Blick zu behalten. Ansonsten
könnte ein „heißer Herbst“ in einem Pyrrhussieg enden: Überzogene Forderungen würden die ohnehin schwierige Lage der Unternehmen in eine unmögliche verwandeln, das hilft niemandem.


Aber eines nach dem anderen. Zuerst einmal: Dass wir in Zeiten steigender Inflation steuern, wussten wir bereits im Vorjahr – der schreckliche Krieg in der Ukraine mag manches verschärft und beschleunigt haben, die Ursache für die Teuerung ist er aber nicht allein. Bei den damaligen KV-Verhandlungen wurden dann aufgrund der steigenden Preise höhere Abschlüsse gefordert. Die KV-Abschlüsse waren also vom Blick nach vorne, auf eine vermutete Zukunft motiviert, anstatt wie sonst üblich von der durchschnittlichen Teuerungsrate der vergangenen zwölf Monate. Müsste man also in diesem Herbst nicht auch wieder den Blick nach vorne richten – und damit in eine Zeit, in der wir von den hohen Teuerungsraten zumindest teilweise wieder runterkommen werden? Es geht nicht an, sich immer nur jene Betrachtungsweise, retrospektiv oder zukunftsorientiert zu wählen, die einem gerade am besten in den Kram passt. 


Damit kurz zurück an den Anfang: Das Leben wird teurer, die Menschen brauchen mehr Geld. Daran ist nicht zu rütteln, und genau das wurde auch von unserer Seite in den vergangenen Monaten immer wieder nachdrücklich gegenüber der Politik vertreten. Es geht hier also nicht darum, den Menschen etwas wegzunehmen oder vorzuenthalten. Ganz im Gegenteil: Auch wir haben stets gesagt, dass wir natürlich wollen, dass von dem Geld, das unsere Mitarbeiter verdienen, auch tatsächlich mehr bei diesen in der Geldtasche landet. Und nicht etwa beim Finanzminister – Stichwort kalte Progression.



Nun wurden seitens der Bundesregierung zahlreiche Entlastungsschritte gesetzt. Die zu erwartenden Effekte dürfen wir und auch die Gewerkschaften nicht aus den Augen verlieren. Neben der Abschaffung der kalten Progression werden die Sozialleistungen valorisiert und die Lohnnebenkosten gesenkt. Unternehmen können heuer oder 2023 einen zusätzlichen Arbeitslohn von bis zu 3.000 Euro steuer- und sozialversicherungsfrei auszahlen. Familien werden besonders unterstützt: So werden im August 180 Euro pro Kind zusätzlich zur Familienbeihilfe ausbezahlt, beim Klimabonus - 250 Euro plus weitere 250 Euro Teuerungsbonus kommen pro Kind weitere 250 Euro dazu und außerdem werden der erhöhte Familienbonus sowie der Kindermehrbetrag auf Jänner 2022 vorgezogen. Menschen mit geringem Einkommen erhalten als weitere Einmalzahlung im September 300 Euro. 2022 wird obendrauf ein Teuerungsabsetzbetrag in Höhe von 500 Euro eingeführt.


All dies muss auch im Rahmen der bevorstehenden Lohnverhandlungen verantwortungsvoll eingepreist werden! Gerade in so krisenhaften wirtschaftlichen Zeiten spielen Lohnabschlüsse, insbesondere mit Blick auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen, eine zentrale Rolle. Wir dürfen dabei das Gesamtbild nicht aus dem Blick verlieren: Die Preissteigerungen, etwa bei Energie und Rohstoffen treffen die Unternehmen derzeit ebenso mit voller Wucht. Das wirtschaftliche Umfeld bleibt jedenfalls weiter volatil: Sollte der Ukraine-Krieg zu einem Ende der Gaslieferungen nach Österreich führen, dann müssen manche Industriebetriebe
ohnehin im Herbst ihre Tore schließen. Es ist also sicher nicht die beste Zeit für weitere, nachhaltige Belastungen der Unternehmen. Vom Anheizen der Lohn-Preis-Spirale ganz zu schweigen.


Der sich weiter zuspitzende Arbeitskräftemangel treibt das allgemeine Lohnniveau ohnehin ständig weiter hinauf. Wie wäre es in dieser Situation eigentlich mit einer stärkeren Differenzierung zwischen der Anpassung der Mindest-KVs und der Ist-Löhne und -Gehälter? In der aktuellen, außergewöhnlichen Situation, flankiert durch ebenso außergewöhnliche Unterstützungsmaßnahmen, wäre es kontra-produktiv, Lohnerhöhungen nicht nur in den KV-Mindeststufen für ewig „einzuzementieren“, sondern auch bei jenen, die weit mehr verdienen. Gerade wir in der Industrie zahlen in der Regel massiv über den Mindest-KVs. Mittelfristig können aber gerade diese Er-höhungen unsere Wettbewerbsfähigkeit deutlich reduzieren – vor allem dann, wenn wir nun in eine Rezession rutschen. Hier braucht es somit das richtige Augenmaß und einen sicheren Blick auf das Gesamtbild. Gemeinsam werden wir kluge Lösungen finden müssen, damit wir einen „heißen Herbst“ vermeiden können.


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