Standort braucht Mut

Die vier Jahre seit meiner ersten Wahl zum Präsidenten der IV-Wien waren vor allem von Krisen und den jeweiligen Reaktionen darauf dominiert. Für die kommenden vier Jahre wünsche ich mir nun eine aktive strukturelle Reformagenda, die den ­Wirtschaftsstandort Österreich wieder zu alter Stärke führt. 

In der Vorstandssitzung im September 2023 wurde ich, gemeinsam mit einem exzellenten Präsidiums-Team, für eine weitere Funktionsperiode als Präsident der IV-Wien wiedergewählt. Für das Vertrauen, das mir und meinem Team damit entgegengebracht wird, möchte ich mich herzlich bedanken. 

Diese Wahl war dann aber auch ein Anlass, um Bilanz über die vergangenen vier Jahre zu ziehen. Im Normalfall würde das bedeuten, dass man kritisch prüft, welche der Vorhaben, mit denen man in eine solche Funktion gestartet ist, erfolgreich umgesetzt werden konnten, wo es hätte besser laufen können etc. Nun waren diese vier Jahre aber alles andere als normal.

Der Beginn meiner Präsidentschaft im Herbst 2019 stand unter der Vision, Wien noch stärker als Technologiemetropole zu positionieren. Hier ist auch einiges gelungen: Die Vision von Wien als Technologiemetropole von Weltrang im Herzen Europas ist auch zentraler Bestandteil des neuen Standortabkommens, das wir heuer mit der Stadt Wien abschließen konnten. Hier werden wir in den kommenden Jahren darauf achten müssen, dass dieses gemeinsame Bekenntnis zur Weiterentwicklung des Innovations- und Industriestandorts Wien nicht nur zu salbungsvollen Worten auf Hochglanzpapier wird. Angesichts der stets sehr konstruktiven und partnerschaftlichen Zusammenarbeit mit der Stadt mache ich mir da aber wenig Sorgen.

Aber auch in Wien war die jüngere Vergangenheit vor allem von Corona dominiert. Man hat beinahe schon vergessen – oder wohl auch bewusst verdrängt –, welche Mühsal die Pandemie zu Beginn für uns alle bedeutet hat: Kurzarbeit, Lockdown, Umstellung auf Homeoffice, wo irgendwie möglich, Test- und Impfkampagnen, und, und, und … Und kaum war Corona zumindest scheinbar vorbei, war die anziehende Inflation bereits deutlich spürbar; es folgten schließlich noch ein Krieg mitten vor unserer Haustür und eine veritable Energiekrise, welche die Teuerung erst recht hat explodieren lassen.

Viel Krise, viele Feuer zu löschen an unüberschaubar vielen Brandherden. Wenn ich mir etwas wirklich Positives aus diesen Jahren heraussuchen müsste, so wäre das einerseits der gute Zusammenhalt innerhalb unserer Industrie-Familie in diesen schwierigen Jahren; andererseits ist mit der Abschaffung der kalten Progression ein strukturpolitischer Meilenstein gelungen. Ich hatte dies immer gefordert – und wurde dabei von vielen eher milde belächelt: Nie würde die Politik auf dieses „Körberlgeld“ verzichten, das dem Finanzminister Jahr für Jahr etliche Milliarden in die Kasse spülte. Siehe da, Krise macht’s möglich, die kalte Progression wurde abgeschafft – eine echte strukturelle Reform. Wer hätte das in Österreich erwartet?

Damit werden die Menschen direkt entlastet, behalten mehr netto vom Lohn für ihre Arbeit. Insgesamt macht die Entlastung für das kommende Jahr etwa 3,5 Mrd. Euro (!) aus, das ist eine effektive Lohnerhöhung zwischen zwei und vier Prozent – für alle! Dies darf man nicht vergessen, vor allem jetzt, wo leider ein sehr schwieriger Lohnverhandlungsherbst zu erwarten ist.

Denn die Lage ist derzeit alles andere als gut – allein in der metalltechnischen Industrie geht ein Drittel der Betriebe davon aus, dass sie das Jahr mit einem Verlust beenden werden. Österreichs Wirtschaft schrumpft, die Industrie ist besonders betroffen – und ausgerechnet in dieser Situation verlangen die Gewerkschaften bei den laufenden KV-Verhandlungen eine zweistellige Lohnerhöhung. Das ist für sehr viele Unternehmen einfach nicht darstellbar. De facto müsste man die Benya-Formel (rollierende Inflation der letzten zwölf Monate plus Produktivitätszuwachs) in diesem besonderen Jahr aussetzen, wenn wir nicht die Existenz von Unternehmen – und damit eine Vielzahl an Arbeitsplätzen – gefährden wollen. Die Lohn-Preis-Inflationsspirale würde die Teuerung auf Jahre hinaus verfestigen. Man wird sehen, mit welcher Weitsicht die KV-Verhandler ein Ergebnis vorlegen werden.

So oder so ist aber auch eines ganz klar: Leichter wird es nicht – die Wettbewerbsfähigkeit unseres Standorts ist in allen relevanten Rankings spürbar gesunken. Das verheißt für die nächsten Jahre nichts Gutes und müsste eigentlich alle Alarmglocken in der Regierung schrillen lassen. Denn wir erwirtschaften in Österreich jeden zweiten Euro im Export – wenn also der Exportmotor Industrie ins Stottern gerät, dann kann das ganz schnell zu einer gefährlichen Abwärtsspirale führen.

Gegensteuern wäre also notwendig, dringend notwendig. Dabei fallen uns aber bedauerlicherweise nun all die Jahrzehnte fehlender Strukturreformen auf den Kopf. Genau vor einem solchen Szenario haben nicht nur wir in der IV seit vielen Jahren immer wieder gewarnt. Unser Staat gibt zu viel Geld für kurzfristigen Konsum statt Investitionen aus, versenkt jedes Jahr Milliarden in ineffizienten Strukturen. Dies über immer neue Steuern und Abgaben zu finanzieren geht sich nicht mehr aus – unsere Steuerlast ist insgesamt bereits viel zu hoch.

Weitere Belastungen würden die Abwärtsspirale nur verschärfen. Es braucht also einen Kurswechsel, wenn wir als Standort noch die Kurve kratzen wollen. Und dass in einer Krise auch Dinge möglich sind, die undenkbar schienen, hat ja die Abschaffung der kalten Progression gezeigt.

Von solchen mutigen Entscheidungen brauchen wir mehr, sehr viel mehr. Und die Politik wird den Menschen in diesem Land auch einfach einmal reinen Wein einschenken müssen: Der Staat kann und darf nicht jedes Problem oder Problemchen mit Steuergeld abfedern. Das können wir uns nicht leisten. Wir erleben derzeit den größten wirtschaftspolitischen Linksruck seit 1968.

Seit Corona hat sich die bereits vorher vorhandene Vollkasko-Mentalität noch weiter verbreitet und verfestigt. Zu viel Hilfe, Zuschüsse, Bonuszahlungen etc. – es scheint fast so, als hinge eine Mehrheit inzwischen direkt gern am Tropf dauernder Hilfsleistungen. Wie Agenda Austria jüngst feststellte, sei „Österreich auf dem Weg in den Staatssozialismus“. Vergessen wird leider darauf, dass wir diese Hilfen ja ohnehin selbst zahlen, mit unseren Steuern. Irgendwann werden wir dafür eine saftige Rechnung präsentiert bekommen.

Wir brauchen also eine Politik, die sich möglichst nüchtern an das Abarbeiten all der offenen Baustellen in diesem Land macht – das mag nicht attraktiv sein, ist aber notwendig. Und ich bin überzeugt, dass eine solche sachliche Politik auch positiv bei den Menschen ankommen würde – Showpolitik hatten und haben wir ohnehin genug. Eine solche Politik wird dann, wenn wieder alle nach Zuschüssen, Erhöhungen und anderen Hilfen rufen, auch einfach einmal Nein sagen müssen. Und alle werden wieder mehr Eigenverantwortung lernen müssen.


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